Die Clans von Stratos
Reichweite Befindliche kurz und klein zu schlagen. »Leie«, begann sie mit heiserer, drängender Stimme. »Es kann nicht Lamatia gewesen sein. Sie lassen sich nur mit hochrangigen Gilden ein, nicht mit dem Abschaum, dessen Fahrpreise wir uns leisten können.« Es tat ihr gut zu sehen, wie der Zahlmeister bei dieser Bemerkung zusammenzuckte. »Auf alle Fälle sind wir besser dran, wenn wir mit ehrlichen Männern ins Geschäft kommen. Es gibt noch weitere Schiffe.«
Ihre Schwester fuhr herum. »Ach ja? Erinnerst du dich noch, wieviel Mühe wir uns gegeben haben? Wir haben Bücher gekauft und teure Ferngespräche im Com-Netz geführt, wir haben Erkundungen eingeholt über jeden Hafen, den dieser elende Kahn hier anläuft! Für jeden Aufenthalt hatten wir einen Plan… wir hatten uns vorgenommen, welche Leute wir besuchen wollten. Wir hatten Fragen ausgeklügelt. Projekte. Und jetzt ist alles umsonst!«
Wie kann es umsonst gewesen sein? fragte sich Maia dumpf. Die ganze Studiererei, das Auswendiglernen, das Einprägen: Oscco-Inseln, Westmeer…
Plötzlich war ihr klar, daß sie beide nicht richtig auf diesen unerwarteten Tiefschlag reagierten.
»Gehen wir«, sagte sie zu ihrer Schwester, raffte das Geld zusammen und bemühte sich, die Besorgnis aus ihrer Stimme zu verbannen – sich selbst und ihrer Zwillingsschwester zuliebe. »Wir finden ein anderes Schiff, Leie. Ein besseres, du wirst schon sehen.«
Das war leichter gesagt als getan. Zwar gab es in Port Sanger eine Menge Segelschiffe, von handgeschnitzten, geometrischen Windflüglern über Sturmjammern bis hin zu Klippern mit wehenden Segeln aus gewebter Tintenfischseide. An den diplomatischen Docks, direkt unterhalb der Hafenfestung lag sogar einer jener seltenen eleganten Kreuzer, dessen Sonnenkollektoren im schrägen Nachmittagslicht schimmerten. Aber mit so offensichtlich teuren Booten gaben sich Maia und Leie gar nicht erst ab, denn ihre Besatzung hätte die Geldstäbe der Mädchen als Fischköder verlacht. Sie versuchten ihr Glück bei den eindrucksvollen Frachtern mit dem Banner der Wolkenwal-Liga oder der Blaureiher-Gesellschaft, also bei Gilden, deren graubärtige Kapitäne des öfteren im Stammsitz der Lamai vorsprachen, um Jungen auf ihre Tauglichkeit für das Seefahrerleben zu testen.
Einer Kinderlegende zufolge hatte es eine Zeit gegeben, in der Jungen wie Albert sich einfach der Gilde ihrer Väter anschlossen. Sogar Sommermädchen wußten schon als Kinder, auf welchem Vaterschiff sie eines Tages wegsegeln würden. Ohne dafür bezahlen zu müssen, wurden sie dorthin gebracht, wo immer die Chancen für junge Vars gerade am günstigsten waren.
Klonkind muß zu Haus verweilen,
um die Heimstatt zu bewahren, ganz und gar.
Varkind muß zu Kampf und Siegen eilen,
Halb die Mutter, halb der Mann, wie wahr.
Laß dich von den Winden treiben,
Winterfrost und Sommerlicht, das lacht.
Nenn die Dinge, die stets bleiben
Unverrückbar, dich zu führen durch die Nacht.
Stratos Mutter, Gründergaben,
Eigne Kunst und fleißge Hand.
Noch ein Segen, an dem Glückliche sich laben,
Vater nimmt dich mit ins ferne Land.
Eine alte Lehrerin, die Savante Judeth – eine Lamai, die ihren Sommerlingsschutzbefohlenen mehr Sympathie als üblich entgegenbrachte, hatte in ihrem Unterricht bestätigt, daß die alten Legenden durchaus einen wahren Kern besaßen. »In jener Zeit hielt jede Segelvereinigung engen Kontakt mit einem bestimmten Haus in Port Sanger, führte Transporte für den Clan aus und war in seinen Gästehäusern stets willkommen, sommers wie winters. Wenn die Varmädchen fünf wurden, holten ihre Väter – oder deren Kameraden – sie zu sich und halfen ihnen, sich in fernen Ländern niederzulassen. Auf ihre Art waren sie für die Väter sehr wertvoll.«
Für Maia hatte das geklungen wie romantisches Gefasel, viel zu kitschig, um wahr zu sein. Aber Leie hatte gefragt: »Warum ist es nicht mehr so?«
Einen Augenblick schwieg Savante Judeth nachdenklich und ein wenig wehmütig – ganz untypisch für eine strenge Lamai.
»Ich wollte, ich wüßte es, Sämling. Vielleicht hat es etwas mit der steigenden Zahl von Sommergeburten zu tun. Als ich jung war, gab es zwar auch schon eine Menge davon. Aber jetzt ist die Quote eins zu vier. So viele Vars.« Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Und die Rivalität unter den Clans und auch unter den Gilden ist weit heftiger geworden, es gibt richtige Kämpfe…« Judeth seufzte. »Ich kann nur sagen, früher
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