Die Clans von Stratos
Leben.«
»Du meinst, das ist das Leben?« konterte Leie achselzuckend. »Dann sieh dir doch die Kretins da drüben an.« Sie machte eine Kopfbewegung zu einem in geometrischem Muster gepflasterten Bereich des Hafendamms, wo einige Seeleute träge herumstanden und eine Anordnung von kleinen schwarzen und weißen Scheiben betrachteten. »Das nennen sie das ›Spiel des Lebens‹, und sie nehmen es verdammt ernst. Wird es dadurch auch Wirklichkeit?«
Maia weigerte sich, das Wortgeplänkel mitzumachen. Wann immer Schiffe im Hafen festmachten, spielten die Männer das uralte Spiel mit einer Leidenschaft, die nur mit dem Interesse am Sex in den aurorischen Monaten vergleichbar war. Die Spieler, Decksmänner von irgendeinem Frachter, trugen grobe, ärmellose Hemden und kleine Metallringe am Bizeps, die ihren Rang bezeichneten. Einige der Zuschauer blickten auf, als die Schwestern vorbeigingen. Zwei der jüngeren lächelten.
Wäre es noch Sommer gewesen, hätte Maia sittsam die Augen niedergeschlagen und sogar Leie wäre vorsichtig gewesen. Aber wenn die Aurorae verblaßten und der Wengelstern verschwand, kühlte das heiße Blut der Männer ab. Sie wurden ruhiger und kameradschaftlicher. So war der Herbst die beste Jahreszeit, um in See zu stechen. Maia und Leie konnten bis zu zwanzig Standardmonate auf dem Ozean verbringen, ehe die Brunst des nächsten Jahres sie wieder an Land trieb. Es war ratsam, bis dahin eine Nische gefunden zu haben, etwas, worin sie gut waren, und ihr Nest anzulegen.
Ohne die Augen niederzuschlagen begegnete Leie den freundlich-anzüglichen Blicken der Matrosen, die Hände in die Hüften gestemmt, als wollte sie die Männer herausfordern, unter Beweis zu stellen, womit sie da prahlten. Ein flachshaariger junger Kerl schien genau das in Erwägung zu ziehen. Aber natürlich würde er, falls er um diese Jahreszeit überhaupt noch einen Rest seiner Libido übrig hatte, diesen gewiß nicht an ein Paar bitterarme Jungfrauen verschwenden! Die Männer lachten, und Leie lachte mit ihnen.
»Komm schon«, sagte sie zu Maia, während sich die Männer wieder ihrem Spiel zuwandten. Leie rückte ihre Tasche zurecht. »Es ist bald Flut. Gehen wir an Bord und schütteln wir den Staub dieser Stadt von den Füßen.«
»Was soll das heißen, ihr lauft nicht aus? Wie lange bleibt ihr noch liegen?«
Maia konnte es nicht glauben. Der alte Proviantmeister kaute auf einem Zahnstocher und kippelte auf seinem Hocker neben dem Laufsteg. Er war unrasiert und trug die üblichen Arbeitsklamotten aus Drillich. Jetzt gab er dem Faßdeckel, auf dem die Rückzahlung lag – und noch etwas zusätzlich als »Abfindung« – einen Stupser.
»Keine Ahnung, kleines Mädchen. Wahrscheinlich ’n Monat. Vielleicht zwei.«
»Einen Monat!« Leies Stimme überschlug sich. »Du Ausgeburt von einem Wurmdreck! Das Wetter ist gut. Ihr habt Ladung und zahlende Passagiere. Was soll das heißen?«
»Hab ein besseres Angebot.« Der Zahlmeister zuckte die Achseln. »Einer von den großen Clans hat die Ladung gekauft, nur damit wir bleiben. Anscheinend mögen die unsre Jungs. Hätten gern, daß sie noch ’n bißchen bleiben, denk ich.«
Maia spürte ein Ziehen in der Magengrube. »Vermutlich wollen einige Mütter dieses Jahr früh mit der Winterzucht beginnen«, meinte sie in dem Versuch, die Katastrophe zu verstehen. »Das ist riskant, aber wenn sie Männer erwischen, die noch brünstig sind…«
»Welcher Clan war das?« unterbrach Leie, die nicht in der Stimmung für vernünftige Erklärungen war. Sie versetzte dem Faß einen Fußtritt, daß die Geldstäbe klapperten. Der grauhaarige Seemann, der ungefähr das Doppelte von Leies fünfzig Kilo auf die Waage brachte, kratzte sich gemütlich den Bart.
»Wartet mal. Waren es die Tildens? Oder Lam…«
»Lamatia?« rief Leie und fuchtelte so heftig mit den Armen, daß der Zahlmeister sich nun doch von seinem Hocker erhob. »Nur die Ruhe, Mädchen. Kein Grund zur Aufregung…« Maia packte Leie am Arm, denn diese machte Anstalten, dem Alten seinen Hocker an den Kopf zu werfen. »Das paßt genau!« schrie Leie. »Deshalb haben sie das Gästehaus mehrere Wochen früher als sonst geöffnet, deshalb mußten wir die ganze Nacht für die Kerle Wein anschleppen!«
Manchmal beneidete Maia ihre Schwester darum, daß sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Ihre eigene Reaktion, nämlich der Rückzug in logische Erklärungen, schien weit weniger befriedigend als Leies Art, alles in
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