Die Clans von Stratos
Messingarbeiten und der Geruch des Polieröls Maia und Leie in ihren Bann geschlagen, und zum Ärger der Händler hatten sie sich oft stundenlang in den Läden herumgetrieben. Leie faszinierten vor allem die mechanischen Gerätschaften, während Maia sich mehr für Karten, Sextanten und die winzigen Teleskope mit ihren klickenden, fein facettierten Gehäusen interessierte. Und für die Chronometer, von denen manche so alt waren, daß sie einen äußeren Ring trugen, der den stratoinischen Kalender in etwas mehr als drei ›Standard-Erdenjahre‹ einteilte. Nicht einmal Fünferjungen, die sie zu schikanieren versuchten – durchreisende Seeoffiziersanwärter, die oft nicht einmal die blasseste Ahnung von Längenmessung hatten – schafften es, die Zwillinge für längere Zeit fernzuhalten.
Als Maia jetzt in den größten Zubehörladen spähte, zog sie den Blick der Ladeninhaberin auf sich, einer Felic mit gutmütig-derbem Gesicht. Die Klonfrau hatte Maias Haarschnitt und ihre Leinentasche bemerkt, und ihre gewohnheitsmäßig grimmige Grimasse wich ganz langsam einem Lächeln. Mit einer schnellen Geste wünschte sie Maia Glück und gute Reise.
Und garantiert ist sie froh, uns los zu sein. Im Gedanken daran, was für eine Plage sie und ihre Schwester gewesen waren, erwiderte Maia die Geste mit einer übertriebenen Verbeugung, was die Ladeninhaberin mit einem Lachen und erneutem Winken quittierte.
Maia wandte sich ab und fand Leie an einem Kai in der Nähe, wo sie sich mit einer Dockarbeiterin unterhielt, deren hohe Wangenknochen ihre Herkunft vom Westkontinent verrieten. »Nee, nee«, sagte die Frau gerade, als Maia nähertrat. Ohne eine Sekunde beim Knüpfen innezuhalten, fuhr sie fort: »Bisher hab ich nix gehört vom Rat in Caria. Gar nix.«
»Nichts worüber?« fragte Maia.
»Den Outsider«, erklärte Leie. »Die Perkie-Missionarinnen haben mich auf die Idee gebracht, daß es vielleicht etwas Neues gibt. Diese Var hier arbeitet auf einem Schiff mit voller Zutrittserlaubnis.« Leie zeigte auf ein nahebei liegendes Fischerboot mit einer steuerbaren Antenne. Es war durchaus nicht an den Haaren herbeigezogen, daß jemand, der an den Skalen einer solchen Vorrichtung herumspielte, die eine oder andere interessante Nachricht auffing.
»Als würden die Eigentümer mich zu Tee und Tele einladen!« Die Segelmacherin spuckte durch ihre Zahnlücke ins schaumige Wasser, in dem unzählige Fischschuppen trieben.
»Aber hast du nicht irgend etwas mitbekommen? Beispielsweise auf einem inoffiziellen Kanal. Behaupten sie immer noch, daß nur ein Outsider gelandet ist?«
Maia seufzte. Caria war weit weg, und seine Savanten ließen nur äußerst spärliche Berichte durchsickern. Schlimmer noch, die Lamai-Mütter verboten den Sommerkindern häufig, überhaupt Telesendungen anzusehen, damit ihr unstetes Gemüt durch die Sendungen nicht ›verstört‹ wurde. Natürlich stachelte das nur die Neugier der Zwillinge an. Doch Leie trieb den Wissensdurst zu weit, wenn sie jetzt schon einfache Arbeiterinnen ausquetschte. Allem Anschein nach war die Segelmacherin ebenfalls dieser Ansicht. »Warum fragt ihr mich, ihr kleinen Hitzköppe? Warum sollte ich mir die Lügen anhören, die aus dem Kasten der Bootseigentümer kommen?«
»Aber du stammst doch vom Landungskontinent…«
»Meine Provinz liegt neunzig Kilometer von Caria entfernt! War seit zehn Jahren nich’ mehr dort und will’s auch nich’ wiedersehen, nie mehr! Jetzt verduftet endlich.«
Als sie außer Hörweite waren, schimpfte Maia: »Leie, du mußt dich wirklich mit solchen Sachen ein bißchen zurückhalten. Du kannst den Leuten nicht so auf die Nerven fallen…«
»So wie du, als wir vier Jahre alt waren? Wer hat denn versucht, sich auf diesem Schoner als blinder Passagier einzuschmuggeln, um rauszukriegen, wie der Kapitän den Standort bestimmt, obwohl der Horizont schlingert? Soweit ich mich erinnere, hat man uns beide dafür bestraft!«
Gegen ihren Willen mußte Maia lächeln. Noch ein Stratosjahr zuvor war Leie diejenige gewesen, die sich alles vorher gründlich überlegt hatte, und Maia hatte die Ideen gehabt, die sie häufig in Schwierigkeiten brachten. Wir sind uns ähnlich, aber unsere jeweiligen Phasen überschneiden sich. Vielleicht ist das ja ganz gut so. Wenigstens eine von uns sollte immer die Rolle der Vernünftigen übernehmen.
»Das ist etwas anderes«, entgegnete sie und versuchte, sich nicht vom Thema abbringen zu lassen. »Jetzt ist es das wirkliche
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