Die Clans von Stratos
mit ihrem riesigen Drachen aus Silber und Gold in ehrfürchtigem Staunen der geistigen Mutter des Planeten – und ihren Aposteln, den Gründerinnen – die Ehre erwiesen. Der andere Palast hatte zwar die gleichen gigantischen Ausmaße, war jedoch gänzlich ohne Zierde und wurde kaum jemals erwähnt. Doch auf ihn konzentrierte sich Maias Aufmerksamkeit, während das Flugzeug auf eine Landebahn südlich der Stadt zuschwebte.
Lysos hätte den Bau der Bibliothek nicht so dem Tempel nachempfinden lassen, wenn sie ihn nur als eine Art schäbiges Clubhaus für ein paar selbstgefällige Savantenclans gewollt hätte.
Maia betrachtete das großartige Bauwerk, bis es im Landeanflug hinter einem Hügel mit Mittelschichts-Clanhäusern versank. Von nun an bis zur endgültigen Landung konzentrierte sich Maia ganz auf die Pilotin, wenn auch zum Teil nur, um nicht hilflos über ihr Schicksal grübeln zu müssen.
Ihre Entführerinnen brachten Maia in ein Zimmer mit Blümchentapete und einem eigenen Bad, alles dezent und elegant. Über einen schmalen Balkon gelangte man zu einem eingezäunten Garten hinunter. Zwei gleichmütige Dienstboten-Wachen lächelten Maia an; sie ließen sie keine Sekunde aus den Augen, verhielten sich aber sehr diskret. Beide trugen eine Livree mit hübschen Paspeln an den Schultern und einem aufgestickten goldenen P, das vermutlich für den Namen ihres Arbeitgeber-Clans stand.
Maia hatte erwartet, in eins der Freudenhäuser der Bellers gebracht zu werden, vielleicht sogar in das, aus dem Renna damals entführt worden war. Vielleicht wurde sie von dort an Tizbes perkinitische Klienten verkauft, als Rache für das, was sie vor Monaten in Long Valley getan hatte. Doch ihre jetzige Unterbringung sah nicht nach einem professionellen Etablissement aus, und die Hügel ringsum wirkten nicht wie ein Bordellviertel. Farbenfrohe Seidenbanner wehten von graziösen Feentürmchen, hohe Zinnen ragten über den Hainen altehrwürdiger Grundstücke auf. Dies war eine Gegend, in der noble Clans wohnten, auf der gesellschaftlichen Leiter von Tizbes hart arbeitender Familie ungefähr ebensoweit entfernt wie die Bellers von Maia. Jenseits der Gartenmauer hörte Maia auf einer Seite Musik von einem Streichquartett und Kinderstimmen, die alle in der gleichen hohen, abgehackten Tonlage lachten. In der entgegengesetzten Richtung, von einem Turmzimmer, dessen Licht bis spät in die Nacht hinein brannte, drangen immer wieder erregte Streitgespräche, wobei die gleiche erwachsene Stimme verschiedene Rollen zu übernehmen schien.
Nach der Landung und Maias erster Fahrt in einem Motorwagen sah sie Tizbe nicht wieder und auch keine andere Beller. Nicht daß sie das kümmerte. Inzwischen war ihr klar, daß sie ein Bauer in einem Machtspiel war, das auf den höchsten Ebenen der stratoinischen Gesellschaft gespielt wurde. Ich müßte mich geschmeichelt fühlen, dachte sie zynisch. Das heißt, wenn ich bis zur Tag- und Nachtgleiche überlebe.
Als sie darum bat, brachte man ihr Bücher zum Lesen. Eins davon war eine Abhandlung über das Spiel des Lebens, das vor etwa hundert Jahren von einer älteren Savanten geschrieben worden war. Sie hatte mehrere Jahre mit Männern verbracht – auf See und auch als Sommergast in einem Reservat – und untersuchte die anthropologischen Aspekte der endlosen Turniere. Maia fand das Buch faszinierend, obgleich ihr einige der Schlüsse über ritualisierte Sublimation etwas weit hergeholt schienen. Schwieriger fand sie es, sich durch eine detaillierte logische Analyse des Spiels selbst zu kämpfen, die noch ein Jahrhundert früher von einer anderen Gelehrten abgefaßt worden war. Den mathematischen Erläuterungen konnte sie nur mit einiger Mühe folgen, aber im ganzen erwies es sich als systematischer und ergiebiger als die Bücher, die sie in Ursulaborg von der Flossenfüßergilde erhalten hatte. Diese legten mehr Gewicht auf Daumenregeln und Gewinnstrategien als auf grundlegende Theorie. Doch auch nach einem solch reichhaltigen geistigen Mahl fühlte sich Maia immer noch hungrig.
Die Bücher waren ein guter Zeitvertreib, während Maias Körper sich vollends erholte. Schritt für Schritt nahm sie ihr Körpertraining wieder auf, um zu Kräften zu kommen. Außerdem hielt sie die ganze Zeit über nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau.
Eine Woche verging. Maia las und studierte, wanderte in ihrem Garten umher und machte sich unablässig Gedanken, was wohl mit Leie und Brod los war. Sie konnte nicht einmal
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