Die Clans von Stratos
eigene Herrin. Wenn Maia erst einmal in Caria war, gab es für die Mächtigen in Kirche und Rat viele Gründe, die sie vorschützen konnten, um Maia einzusperren. In einem richtigen Gefängnis diesmal. Ohne Geheimgänge, bewacht von Klonwächtern, die seit Jahrhunderten erprobt und genetisch zur Wachsamkeit auserkoren waren.
Maia hatte beschlossen, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Sie wollte handeln. Ehe man sie aus Ursulaborg wegbrachte, mußte es eine Chance zum Entwischen geben. Vielleicht bei einem der täglichen Ausflüge. Wenn sie erst mal im Gewimmel der Großstadt untergegangen war, konnte sie irgendwo Schutz suchen, wo all die wichtigen Leute sie nicht aufspüren würden. In irgendeinem ruhigen, abgelegenen Küstendorf. Dann werde ich eine Möglichkeit finden, Leie und Brod Bescheid zu geben, und wir machen einen Laden auf, in dem wir Sextanten reparieren, auf die faule Matrosen nicht ordentlich aufgepaßt haben.
Vielleicht konnte sie Naroin überreden, im entscheidenden Moment wegzuschauen. Aber es war sicher besser, sich nicht darauf zu verlassen.
»Na ja, was soll’s«, meinte sie jetzt. »Ich hatte einen Alptraum und kann ihn einfach nicht abschütteln.«
»Wer kann dir das verdenken, nach allem, was du durchgemacht hast«, sagte Naroin grinsend. Als Maia nichts darauf antwortete, beugte sich Naroin zu ihr. »Glaubst du, du stehst unter Arrest oder so? Ist es das?«
»Könnte ich denn zum Tor hinausmarschieren, wenn ich wollte?«
Die drahtige dunkle Frau verzog das Gesicht. »Ich glaube, das wäre momentan nicht sehr klug.«
»Genauso habe ich es mir vorgestellt.«
»Es ist nicht so, wie du vielleicht denkst. Aber gewissen Leuten liegt deine Gesundheit nicht so am Herzen wie uns.«
»Klar«, nickte Maia. »Ich weiß, du bist viel freundlicher zu mir als manche anderen. Vergiß, daß ich gefragt habe.«
Naroin kaute unglücklich auf der Unterlippe. »Du willst wissen, was da draußen los ist. Aber es verändert sich alles so schnell… Sieh mal, ich soll dir eigentlich nichts sagen, bis diese Persönlichkeit hierherkommt, aber morgen trifft sie hier ein. Sie will mit dir reden und dich dann in die Hauptstadt bringen. Ich weiß, das klingt verdächtig, aber es ist nützlich. Kannst du mir vielleicht bis dahin vertrauen? Ich verspreche dir, dann ergibt alles einen Sinn.«
Ein Teil von Maia wollte an ihrem Groll festhalten. Aber es war schwer, gegenüber Naroin argwöhnisch zu bleiben, nachdem sie soviel zusammen durchgemacht hatten. Ich will lieber tot sein, als niemandem mehr vertrauen zu können.
»In Ordnung«, sagte sie. »Bis morgen.«
Naroin ging wieder. Später, als Maia gerade selbst mit ihrer Eskorte aufbrechen wollte, drückte Hullin Maia ein zusammengefaltetes, schweres Stück Papier mit einem Wachssiegel in die Hand. Maias Herz schlug höher, als sie Brods Handschrift erkannte. Doch sie wartete, bis ihre Sänfte über den Marktplatz der Stadt schaukelte, ehe sie den Brief aufriß.
Liebe Maia,
Leie geht es gut, sie läßt Dich grüßen. Wir vermissen dich beide und sind froh zu hören, daß Du in guten Händen bist. Hoffentlich ist das Leben schön und geruhsam für Dich, eine Weile jedenfalls.
Maia lächelte. Wartet nur, bis ihr meinen nächsten Brief kriegt! Leie würde heulen vor Eifersucht, weil sie Clevin nicht als erste kennengelernt hatte! Zwar gab es ernstere Themen zu besprechen, aber es würde ihr guttun zu berichten, daß wenigstens eine ihrer Kindheitsphantasien Wirklichkeit geworden war.
Lysos, wie sie Brod und Leie vermißte! Maia sehnte sich von Herzen danach, daß sie bald kommen würden.
In letzter Zeit waren wir sehr beschäftigt. Die meiste Zeit über stehen wir nur rum, während die Oberschichtmütter mit den Armen wedeln und spitze Schreie ausstoßen. Genaugenommen wundert es mich, daß Leie und ich noch hier sind, denn es sind Savanten von der Universität mit großen Computerkonsolen eingetroffen, die sie an Deine Bilderwand angeschlossen haben. Damit haben sie erstaunliche Dinge vollbracht. Sie fragen Leie nicht mehr danach, also glauben sie vermutlich, daß sie das Rätsel gelöst haben.
Maia überlegte. Warum werde ich eifersüchtig? Jetzt, da das Geheimnis gelüftet war, war es doch nur sinnvoll, daß die Gelehrten die Wunderwerke eines anderen Zeitalters erforschten. Vielleicht lernten sie dabei ja das eine oder andere… vielleicht ließen sie sogar das eine oder andere Vorurteil fallen.
Inzwischen sind alle Männer weg,
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