Die Company
Mission in Budapest zu übernehmen. Haben Sie eine Ahnung, warum wir Sie dahin schicken?«
»Nicht so ganz.«
»Was meinen Sie denn?«
»Ich hab mir so meine Gedanken gemacht«, gab Ebby zu. »Chruschtschows geheime Rede hat den Stalinisten in den Satellitenstaaten den Boden unter den Füßen weggezogen. In Polen brodelt es. Ungarn scheint ein Pulverfass kurz vor der Explosion zu sein – ein totalitärer Staat, an dessen Spitze ein unpopulärer Stalinist mit Hilfe von vierzigtausend Geheimpolizisten und anderthalb Millionen Spitzeln herrscht. Ich vermute, ich soll Kontakt zu den ungarischen Widerständlern aufnehmen und die Lunte anzünden.«
Dulles kniff die Augen zusammen, warf Wisner einen kurzen Blick zu und sah Ebby eindringlich an. »Sie liegen um genau hundertachtzig Grad daneben, Ebbitt. Wir wollen, dass Sie diesen Leuten sagen, sie sollen sich abregen.«
»Radio Freies Europa hat sie zum Aufstand aufgerufen –«, setzte Ebby an.
Dulles fiel ihm ins Wort. »Radio Freies Europa ist kein Organ der Regierung der Vereinigten Staaten. Tatsache ist: Wir wollen nicht, dass die Sache in Ungarn losgeht, bevor wir wirklich bereit sind. Dass wir uns richtig verstehen: Das Zurückdrängen des Kommunismus ist und bleibt unser erklärtes Ziel. Aber wir rechnen damit, dass wir noch anderthalb Jahre brauchen, bis alles vorbereitet ist. General Gehlens Organisation hat eine ungarische Abteilung, aber es dauert nun mal seine Zeit, Waffenlager in Ungarn anzulegen, ungarische E migranten auszubilden und mit Ausrüstung ins Land zu schmuggeln, so dass ein Aufstand koordiniert werden kann.«
»Sie gehen also davon aus, dass die Widerständler ihre Leute nicht kontrollieren können«, sagte Ebby. »Aber den Hintergrundberichten nach, die ich gelesen habe, ist ein spontaner Aufstand nicht auszuschließen.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Dulles. »Eine Straßendemonstration kann spontan sein. Ein Volksaufstand ist etwas völlig anderes.«
»Im Augenblick ist unsere größte Sorge die«, schaltete Wisner sich ein, »dass die Widerständler sich Chancen ausrechnen, die USA würden sich verpflichtet fühlen, ihnen zu Hilfe zu kommen, sobald sie das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Oder dass wir zumindest damit drohen werden, einzumarschieren, um die Russen in Schach zu halten.«
»Das wäre eine gefährliche Fehleinschätzung der Lage«, warnte Dulles. »Weder Präsident Eisenhower noch sein Außenminister, mein Bruder Foster, sind bereit, wegen Ungarn einen Dritten Weltkrieg anzuzetteln. Ihre Aufgabe, Ebbitt, ist es, die Widerständler von dieser traurigen Tatsache zu überzeugen. Sollten sie dennoch einen Aufstand entfachen wollen, kann uns niemand einen Vorwurf machen. Andererseits, falls sie noch eine Weile abwarten können, sagen wir achtzehn Monate –«
»Ein Jahr könnte schon reichen«, warf Wisner ein.
»Ein Jahr, achtzehn Monate, wenn die Ungarn – mit unserer heimlichen Unterstützung – die Infrastruktur für einen Aufstand geschaffen haben, wäre die Lage vielversprechender.«
»Es gibt da noch ein Problem, von dem Sie wissen sollten«, sagte Wisner. »Die Situation im Nahen Osten spitzt sich immer weiter zu. Nasser hat mit seiner Verstaatlichung des Suezkanals und seiner Weigerung, den Kanal zu internationalisieren, die Briten und Franzosen immer mehr in die Ecke gedrängt. Israelische Teams reisen hektisch zwischen Tel Aviv und Paris hin und her. Die hecken was aus, da können Sie Gift drauf nehmen. Der verschlüsselte Nachrichtenverkehr zwischen dem israelischen Oberkommando und dem französischen Generalstab könnte reger nicht sein. Wir meinen, dass die Israelis möglicherweise einen britisch-französischen Angriff gegen Nasser anführen wollen, um den Kanal zu besetzen.«
»Und bei der ganzen Aufregung würde eine Revolution in Ungarn regelrecht untergehen«, sagte Dulles. Er stand auf und streckte eine Hand aus. »Viel Glück, Ebbitt.«
Vor dem Alibi Club ging ein Zeitungsverkäufer zwischen den vor einer Ampel wartenden Autos hindurch und pries die Washington Post an. »Das Neuste von der Börse«, rief er immer wieder. »Dow Jones erreicht mit 521 Punkten neuen Höchststand.«
»Die Reichen werden reicher«, sagte Wisner mit einem sardonischen Grinsen.
»Und die Weichen werden weicher«, fügte Ebby hinzu.
3 Budapest,
Dienstag, 16. Oktober 1956
D
er Orientexpress von Paris nach Istanbul ratterte durch die Ebene am Ufer der Donau Richtung Budapest. Ebby saß am Fenster seines
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