Die Company
gekannt, ihr sei aber gesagt worden, dass es nicht im Interesse des Staates wäre, wenn sie ihn weiter sehen würde; zu dem Zeitpunkt sei die Beziehung zu ihm, wenn es überhaupt eine war, längst beendet gewesen. Die KGB-Leute schienen von ihren Karteikarten (die sie in einem Metallkoffer auf dem Dachboden eines Hauses auf dem Land versteckt hatte) keine Ahnung zu haben. Nach zwölfeinhalb Stunden Verhör ließ man sie mit einer eindringlichen Warnung wieder gehen: Stecken Sie in Zukunft Ihre Nase nicht in Parteiangelegenheiten.
Einer der Männer, mit rundem Gesicht und randloser Brille, brachte Asa über eine breite Treppe hinunter zum Hintereingang der Lubjanka. »Vertrauen Sie uns«, sagte er mit kalter Höflichkeit an der Tür zu ihr, »wenn es an der offiziellen Geschichte der Sowjetunion Korrekturen vorzunehmen gilt, werden das die Historiker der Partei im Interesse der Massen erledigen. Stalin mag ja kleinere Fehler gemacht haben«, fügte er hinzu. »Welchem Politiker passiert so etwas nicht? Aber es darf nicht vergessen werden, dass Stalin an die Macht gekommen ist, als die russischen Felder noch von Ochsen gepflügt wurden; als er starb, war Russland eine Weltmacht mit Atomwaffen und Raketen.«
Asa hatte verstanden; trotz Chruschtschows Rede würde es in Russland erst dann eine echte Reform geben, wenn Geschichte wieder Sache der professionellen Historiker, nicht der parteitreuen, war. Und solange der KGB diesbezüglich ein Wörtchen mitzureden hatte, war vorerst nicht damit zu rechnen. Asa schwor sich, an ihren Karteikarten weiterzuarbeiten. Doch bis sich die Dinge änderten, und zwar radikal, würden sie in dem Metallkoffer versteckt bleiben müssen.
2 New York,
Montag, 17. September 1956
E
in des Kalten Krieges müder E. Winstrom Ebbitt II. kehrte nach neunzehn Monaten wieder in die Vereinigten Staaten zurück zu seinem ersten Heimaturlaub. Unter der Woche schilderte er den schlauen Köpfen der Company die nach Chruschtschows Rede immer angespanntere Lage in den Satellitenstaaten; an den Wochenenden fuhr er nach Manhattan, um seinen Sohn Manny zu sehen, einen schmalen Jungen mit ernsten Augen, der kürzlich neun Jahre alt geworden war. Ebbys Exfrau Eleonora war inzwischen mit einem erfolgreichen Scheidungsanwalt verheiratet und lebte in einer Luxuswohnung an der Fifth Avenue. Sie machte deutlich, dass ein abwesender Vater ihr lieber war als derjenige, der samstags und sonntags an ihrer Tür klingelte, um Immanuel abzuholen. Manny wiederum begrüßte seinen Vater mit schüchterner Neugier, doch allmählich taute er auf. Auf Anraten geschiedener Kollegen, von denen es in der Company viele gab, schraubte Ebby die Erwartungen nicht allzu hoch, wenn er mit seinem Sohn zusammen war. Einmal besuchte er mit Manny ein Baseball-Spiel, ein anderes Mal nahmen sie die U-Bahn nach Coney Island (was an sich schon ein Abenteuer war, denn Manny wurde im Wagen zu seiner Privatschule gebracht) und fuhren Riesenrad und Achterbahn.
Frank Wisner leerte seine Bloody Mary und signalisierte einem Kellner, zwei neue zu bringen. Ebby und Wisner hatten sich zum Lunch im Cloud Club oben im Chrysler Building getroffen. Als die beiden frischen Gläser auf dem Tisch standen, hob Wisner, der angespannter und sorgenvoller aussah, als Ebby ihn in Erinnerung hatte, seinen Drink und prostete Ebby zu. »Auf Sie und Ihre Familie. Wie verkraften Sie es, wieder auf heimatlichem Boden zu sein, Eb?«
»Ganz gut.« Ebby schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin auf einem anderen Planeten. Neulich abends war ich mit drei Anwälten aus meiner alten Kanzlei essen. Sie sind reich geworden und weich – große Wohnung in Manhattan, Wochenendhaus in Connecticut, Country Club in Westchester. Einer ist inzwischen Juniorpartner. Er verdient in einem Monat mehr als ich in einem Jahr.«
»Bereuen Sie Ihre Entscheidung?«
»Nein, absolut nicht, Frank. Wir sind in einer Art Kriegszustand. Die Leute hier scheinen sich da bloß keine Gedanken drüber zu machen. Die Energie, die sie aufbringen, um über Aktienkäufe und Übernahmen nachzudenken! Verdammt, und ich muss immer wieder an die jungen Albaner denken, die in Tirana hingerichtet wurden.«
»Hört sich ganz so an, als wären Sie bereit, wieder an die Arbeit zu gehen«, sagte Wisner. »Und damit wären wir beim Anlass unseres Treffens. Ich biete Ihnen einen neuen Auftrag an, Eb.«
» Anbieten heißt doch, dass ich ablehnen kann.«
»Sie müssten
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