Die Company
warteten. Pünktlich um halb drei öffnete sich eine Tür, und eine schlanke junge Frau trat aus einem Büro. Sie war Anfang dreißig, ganz in Schwarz gekleidet – enger gerippter Rollkragenpullover, Flanellrock, dicke Winterstrümpfe und robuste flache Schuhe – und hatte ungebärdiges, aschblondes Haar, das aussah, als wäre es im Nacken grob abgehauen worden. Sie trug kein Make-up. Auf dem Namensschildchen an ihrem Pullover stand: E. Németh.
»Guten Tag – ich begrüße Sie herzlich zu der Führung«, erklärte sie. Der Hauch eines nervösen Lächelns huschte über ihr Gesicht, während ihr Blick über die Anwesenden hinwegglitt. Bei Ebby verweilte er einen Wimpernschlag, nicht länger, und wanderte dann weiter. »Wenn Sie mir bitte folgen würden«, sagte E. Németh. Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und schritt einen langen Gang hinunter, in dem riesige Gemälde in schauerlichen Einzelheiten von den Schlachten der Ungarn gegen die Türken berichteten.
Ebby hielt sich am Rand der Gruppe und hörte mit halbem Ohr einige Namen von Schlachten und Malern. Als sie die Treppe zum zweiten Stock hochstiegen, bekam er mit, wie eine ältere Frau die Museumsführerin fragte: »Sagen Sie, meine Liebe, wo haben Sie denn so wunderbar Englisch gelernt?«
»Ich bin eine halbe Engländerin«, erwiderte E. Németh. »Ich wurde in der Toskana geboren und bin in England aufgewachsen.« Sie sah kurz über die Schulter und fing Ebbys Blick auf. Wieder huschte das angespannte Halblächeln über ihr Gesicht, das Angst verriet und zugleich Entschlossenheit, der Angst nicht nachzugeben.
»Und darf ich fragen, was Sie hier nach Budapest verschlagen hat?«
»Meine Heirat«, erklärte E. Németh knapp.
»Gratuliere, meine Liebe. Gratuliere.«
Als sie fünfzig Minuten später den letzten Raum des Rundgangs erreichten, erklärte E. Németh ihren Schützlingen: »Hier sehen Sie sechs Gemälde des berühmten spanischen Künstlers El Greco. Das Museum besitzt noch ein siebtes Gemälde, aber das wird zurzeit in einer Werkstatt im Keller gereinigt. Es handelt sich um die umfangreichste Sammlung von El Grecos außerhalb Spaniens. El Greco wurde 1541 als Domenikos Theotokopulos auf Kreta geboren. Er lernte in Venedig bei Tizian und ließ sich danach in Toledo nieder. Im Lauf der Jahre trugen ihm seine gleißenden Farben und tiefen Schattierungen, seine expressiv verzerrten Figuren den Ruf eines Meisters religiöser Ekstase ein. Viele der Figuren, die Sie hier sehen, waren spanische Edelleute –«
Ebby trat um die Gruppe herum nach vorn. »Stimmt es eigentlich, dass El Greco seine Modelle mit verlängerten Gesichtern sah und sie auch so malte, weil er unter Sehstörungen litt?«
Den Kopf leicht geneigt, legte E. Németh eine Hand (deren Fingernägel abgekaut waren, wie Ebby bemerkte) an die Unterlippe. »Natürlich habe ich auch schon von dieser Theorie gehört«, erwiderte sie ruhig, »doch soweit ich weiß, beruht sie lediglich auf Mutmaßungen und ist nicht medizinisch belegt.«
Als die Gruppe die lange Treppe zum Haupteingang des Museums hinunterging, ließ Ebby sich ein wenig zurückfallen, bis er neben E. Németh ging. Er nahm einen schwachen Rosenduft wahr.
»Sie scheinen viel über El Greco zu wissen«, bemerkte sie.
»Ich bin ein großer Bewunderer seiner Werke.«
»Würde es Sie vielleicht interessieren, sich den El Greco anzusehen, der gerade im Keller restauriert wird?«
»Unbedingt.«
Auf halber Höhe der Treppe befand sich ein Absatz, von dem eine schmale Tür abging. Die Museumsführerin blickte sich um. Als sie sah, dass niemand hinter ihnen war, trat sie rasch auf die Tür zu, öffnete sie und zog Ebby hinter sich her. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, erklärte sie: »Man ist Ihnen zum Museum gefolgt. Ich hab sie durchs Fenster gesehen. Hinter Ihnen war ein ganzes Team – ein Wagen und mindestens drei Leute zu Fuß.«
»Die hab ich auch gesehen«, sagte Ebby. »Wahrscheinlich machen sie das routinemäßig bei allen Amerikanern.«
E. Németh ging eine enge, von schwachen Glühbirnen auf jedem Absatz erhellte Holztreppe hinunter. Die Stufen knarrten unter ihren Füßen. Am Fuß der Treppe angekommen, öffnete sie eine weitere Tür und spähte nach draußen. Die Luft schien rein zu sein, denn sie winkte Ebby, ihr zu folgen. Sie gingen über den Zementboden eines großen Lagerraums voller Plastiken und Gemälde zu einer Tür, die von innen verriegelt war.
»Wofür steht das E. auf
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