Die Company
hatte SASHA seit Wochen nicht kontaktiert –, musste Hoover es für besser gehalten haben, sie verhaften zu lassen, um sie gegeneinander auszuspielen, vermutlich durch eine Kombination aus Drohungen und versprochener Straffreiheit. Es war reines Glück, dass Eugene nicht in die Falle getappt war. Und Bernice, tapfer bis zum Schluss, hatte ihn im letzten Moment gewarnt. Jetzt würden mit Teleobjektiv aufgenommene, grobkörnige Fotos von Eugene Dodgson in Washington kursieren. Sie würden einen unrasierten, langhaarigen Mann Anfang dreißig zeigen. Die Polizei würde die Bahnhöfe und Flughäfen überwachen, sie würde das Foto Hotelportiers und den Aufsehern von Obdachlosenunterkünften vorlegen. Falls sie ihn erwischten, würde Eugenes Festnahme genauso Schlagzeilen machen wie die von Oberst Abel vor ihm.
Eugene hatte sich natürlich schon vor langer Zeit überlegt, was er tun würde, falls er aufflog. Zunächst einmal hatte er zehn Fünfzig-Dollar-Noten mehrfach gefaltet und glatt gebügelt im Hosenaufschlag versteckt; mit diesen fünfhundert Dollar konnte er sich über Wasser halten, bis er Kontakt mit dem Residenten in der sowjetischen Botschaft aufnahm. Entscheidend war jetzt, für die Nacht einen sicheren Platz zu finden. Am Morgen würde er sich unter eine Touristengruppe mischen, sich nachmittags einen Film ansehen und dann das Kästchen holen, das er in der Gasse hinter dem Kino versteckt hatte. Erst danach würde er den Telefonanruf tätigen, um den Residenten und letztlich auch Starik zu informieren, dass seine Identität aufgeflogen war und seine Chiffriercodes dem FBI in die Hände gefallen waren.
Eugene wechselte zweimal den Bus und fuhr ins Stadtzentrum. Er durchstreifte die dunklen Straßen hinter dem Busbahnhof, bis er ein paar frierende Prostituierte sah.
»Ziemlich kalt heute Nacht«, sagte er zu einer kleinen, stämmigen Blondine, die einen schäbigen Wollmantel mit ausgefranstem Fellkragen und Strickhandschuhe trug. Eugene schätzte sie auf höchstens achtzehn Jahre.
Das Mädchen kniff sich in die Wangen, damit sie etwas Farbe bekamen. »Ich kann dich ein wenig aufwärmen, Süßer«, antwortete sie.
»Wie viel würde mich das kosten?«
»Kommt drauf an, was du willst. Nur ’ne kurze Nummer oder das volle Programm?«
Eugene schaffte ein müdes Lächeln. »Was muss ich für das volle Programm hinblättern?«
»Fünfzig Dollar, aber du wirst es nicht bereuen, Süßer.«
»Wie heißt du?«
»Iris. Und du?«
»Billy, wie Billy the Kid. « Eugene schob ihr einen Fünfzig-Dollar-Schein in den Handschuh. »Noch mal das Gleiche, wenn ich es mir bis morgen früh bei dir gemütlich machen kann.«
Iris hakte sich bei Eugene unter. »Abgemacht, Billy the Kid. «
Das »volle Programm« erwies sich letztlich als eine ziemlich routinierte Beischlafnummer. Doch dann stellte sich heraus, dass Iris andere Talente besaß, die ihren Freier mehr interessierten als Sex. Sie war nämlich Friseuse in New Jersey gewesen, bevor sie nach Washington kam. Mit einer Küchenschere verpasste sie Eugene einen Kurzhaarschnitt und färbte ihm dann an der Spüle mit ihrem eigenen Blondiermittel die Haare blond. Für einen weiteren Fünfziger war sie sogar bereit, ein paar Einkäufe für ihn zu tätigen, während er sich Frühstück machte. Nach einer Dreiviertelstunde kam sie wieder mit einem schwarzen Anzug und einem Mantel – beides aus einem Secondhandladen, aber noch ganz passabel –, einer schmalen Krawatte und einer Brille mit so schwachen Gläsern, dass Eugene sie tragen konnte, ohne davon Kopfschmerzen zu bekommen. Während ihrer Abwesenheit hatte Eugene ihren Damenrasierer benutzt, um sich zu rasieren und die Koteletten zu stutzen. In seiner neuen Staffage sah er, so Iris, wie ein arbeitsloser Leichenbestatter aus.
Am späten Vormittag machte er sich auf den Weg und ging sogar absichtlich an zwei Polizisten vorbei, die vor dem Bahnhof die Menschenmenge musterten. Keiner der beiden schaute ihn auch nur länger an.
Um die Zeit totzuschlagen, machte Eugene eine Stadtrundfahrt mit, aß anschließend ein Käsesandwich und ging dann zu Loew’s Palace in der F Street, wo er sich Hitchcocks Psycho ansah, den er erst eine Woche zuvor mit Bernice angeschaut hatte. Als er daran dachte, wie sie den Kopf an seiner Schulter vergraben hatte, als Janet Leigh unter der Dusche erstochen wurde, erfasste ihn plötzlich schmerzliches Mitleid für Bernice. Was musste sie jetzt wohl durchmachen? Sie war eine gute Kameradin
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