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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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den Mädchen vorgelesen hatte, beunruhigte ihn diese am meisten. Denn Starik – er sah sich als den Ritter mit den sanften blauen Augen und dem gütigen Lächeln und der Rüstung, die vor der untergehenden Sonne hell aufleuchtete – erkannte die schwarzen Schatten des Waldes, aus dem die Weiße Königin herausgelaufen war, und sie machten ihm Angst. » Es wird wohl wieder einmal ein Feind hinter ihr her sein «, sagte der König und drehte sich nicht einmal um dabei. » Davon wimmelt’s in dem Wald dort drüben nur so. « Starik hatte den Feind, der im Wald lauerte, längst erkannt: Es war nicht der Tod, sondern Versagen.
    Als er noch jünger war, hatte er mit ganzem Herzen geglaubt, dass er, wenn er den guten Kampf nur lange genug kämpfte, unausweichlich Erfolg haben werde. Doch inzwischen war dieses Sendungsbewusstsein verschwunden, und an seine Stelle war die dunkle Vorahnung getreten, dass der Triumph nicht einmal im Bereich des Möglichen lag. Die russische Wirtschaft stand kurz vor dem Zusammenbruch, ganz zu schweigen von dem gesellschaftlichen Gefüge und der Partei selbst. Geier wie dieser Gorbatschow lauerten schon darauf, sich an den Kadavern zu weiden. Die sowjetische Vormachtstellung in Osteuropa bröckelte überall. In Polen gewann Solidarnosc immer mehr an Boden, in der DDR hielten sich die reformfeindlichen »Betonköpfe«, wie man sie nannte, nur noch mit letzter Kraft an der Macht.
    Es war offensichtlich, dass die Genialität, die Großzügigkeit des menschlichen Geistes durch die Habgier des ungezügelten Homo economicus verdrängt werden würden. Wenn es überhaupt noch einen Trost gab, dann lag er in der Gewissheit, dass er, Starik, das kapitalistische Gebäude niederreißen würde, auch wenn der Sozialismus unterging. Es war die Zeit der Götterdämmerung, die letzte Genugtuung für jene, die gekämpft und doch nicht gesiegt hatten.
    Andropow hatte die Augen geschlossen gehabt und durch eine Sauerstoffmaske geatmet, als Starik ihn am frühen Nachmittag besuchte. Der Generalsekretär hatte gerade wieder eine Hämodialyse an der künstlichen Niere hinter sich. Pfleger kümmerten sich um ihn, nahmen seinen Puls, überprüften den Tropf, trugen ihm Rouge auf die bleichen Wangen auf, damit die nachmittäglichen Besucher nicht merkten, dass sie einen Halbtoten vor sich hatten.
    »Juri Andropow«, hatte Starik geflüstert. »Sind Sie wach?«
    Andropow hatte ein Auge geöffnet und kaum merklich genickt. »Ich bin immer wach, auch wenn ich schlafe«, hatte er unter der Sauerstoffmaske gemurmelt. Auf einen Wink von ihm hatten alle Pfleger den Raum verlassen.
    Denn Andropow wusste, warum Starik gekommen war. Er wollte den Generalsekretär ein letztes Mal unterrichten, bevor das Startsignal für CHOLSTOMER erteilt wurde. Alles war bereit.
    Schwer atmend, zog Andropow sich die Maske vom Gesicht und begann, Fragen zu stellen: Hatte der KGB irgendwelche Beweise dafür finden können, dass Amerika einen nuklearen Erstschlag gegen die Sowjetunion plante? Wenn ja, was waren das für Beweise?
    Wie Starik inzwischen sehr wohl wusste, war das Schicksal von CHOLSTOMER eng mit Andropows Vermutung verknüpft, dass das NATO-Manöver ABLE ARCHER 83 als Tarnung für den Präventivschlag dienen sollte. Falls den Generalsekretär Zweifel an den feindlichen Absichten der Amerikaner befielen, würde er – wie schon Breschnew vor ihm – einen Rückzieher machen. Und deshalb tat Starik etwas, was er in den dreiundvierzig Jahren, die er Spione führte, noch nie getan hatte: Er fälschte den Bericht eines seiner Agenten vor Ort.
    »Genosse Andropow, ich habe hier die Antwort von SASHA auf Ihre letzten Anfragen.« Er hielt ein beschriebenes Blatt hoch, wissend, dass der Generalsekretär zu schwach war, um es selbst zu lesen.
    In Andropows Augen flammte etwas von seinem alten Kampfgeist auf; Starik meinte, noch einmal den unbeugsamen Botschafter zu sehen, der den Ungarnaufstand niedergeschlagen und später den KGB mit eiserner Hand geführt hatte.
    »Was meldet er?«, wollte der Generalsekretär wissen.
    »Das Pentagon hat von der CIA Echtzeit-Satelliten-Aufklärungsbilder von unseren zwölf Zügen mit Atomraketen angefordert. Der Generalstab will darüber hinaus eine aktualisierte Einschätzung der sowjetischen Raketenabschussbereitschaft. Sie wollen vor allem wissen, wie lange wir brauchen, um Atomraketen abzuschießen, sobald ein amerikanischer Angriff entdeckt und der Befehl zum Gegenangriff gegeben wird.«
    Andropow

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