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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Jahre vergangen. Wir haben alle um die Taille herum zugelegt.«
    »Entscheidend ist«, witzelte Casey, »dass man nicht ums Hirn herum zulegt.«
    Ebby gab Jack das Foto, der sich seine Lesebrille aufsetzte und dann das Foto studierte. Der Unterkiefer klappte ihm runter, und er stammelte: »Das gibt’s doch nicht …«
    Ebby fragte: »Was gibt’s nicht?«
    »Erkennen Sie den Mann?«, wollte Moody wissen.
    »Ja … Vielleicht … Das kann nicht sein … Ich bin nicht sicher … das Bild sieht ihm ähnlich, aber er hat sich verändert …«
    »Wir haben uns alle verändert«, bemerkte Ebby trocken.
    »Wem sieht es ähnlich?«, hakte Casey nach.
    »Das werden Sie nicht glauben, aber der Mann sieht aus wie der russische Austauschstudent, mit dem ich in Yale zusammengewohnt habe. Er hieß Jewgeni Tsipin. Sein Vater hat bei den Vereinten Nationen gearbeitet …«
    Moody wandte sich an Casey. »Der Tsipin, der in den Vierzigerjahren bei den Vereinten Nationen gearbeitet hat, war ein KGB-Agent.« Er fixierte Jack. »Wie gut hat Ihr russischer Kommilitone Englisch gesprochen?«
    Jack, noch immer ganz verwirrt, blickte von dem Foto auf. »Jewgeni war in Brooklyn zur Schule gegangen – er hat gesprochen wie ein echter New Yorker.«
    Moody sprang auf und ging um den Tisch. »Das wäre eine Erklärung –«, sagte er aufgeregt.
    »Wofür?«, fragte Casey.
    »Der Eugene Dodgson, der in Kahns Getränkeladen gearbeitet hat, sprach Englisch wie ein Amerikaner – ohne jeden russischen Akzent. Aber Jim Angleton hat nie ausgeschlossen, dass er Russe sein könnte, der aus irgendwelchen Gründen perfekt Englisch sprach.«
    Kopfschüttelnd vor Verblüffung, glotzte Jack das Foto an. »Er könnte es wirklich sein. Andererseits könnte es jemand sein, der so aussieht wie er.« Er stockte. »Aber ich kenne jemanden, der es wissen wird«, sagte er.

 
    5 Tscherjomuski bei Moskau,
Samstag, 12. November 1983

    B
    i tte, Onkel, lies doch schneller«, flehte die kleine blonde Ossetin, als Starik aus dem Konzept kam und den Absatz noch einmal von vorne begann. Geistesabwesend streichelte Starik das seidige Haar der neu eingetroffenen Nichte aus der Inneren Mongolei; selbst jetzt noch, mit fast siebzig Jahren, rührte ihn die Unschuld der Schönheit, die Schönheit der Unschuld. Hinter seinem Rücken griff die Ossetin der Lettin unter das Unterhemd und kniff ihr in eine Brustwarze. Das Mädchen kreischte erschrocken auf. Starik drehte sich verärgert zu der Lettin um. »Aber sie hat mich in die Brust gekniffen«, jammerte das Mädchen und zeigte auf die Missetäterin.
    »So was tut man nicht«, grollte Starik.
    »War doch bloß ein Scherz –«
    Die Hand des Onkels holte aus und traf die Kleine hart ins Gesicht. Seine langen Fingernägel, eckig geschnitten, wie es die Bauern taten, zerkratzten ihr die Wange. Blut quoll hervor. Vor Furcht schluchzend, zog die Ossetin ihr Baumwollunterhemd aus und drückte es sich auf die Striemen. Einen Moment lang traute sich niemand, etwas zu sagen. Dann drang die gedämpfte Stimme des vietnamesischen Mädchens unter dem Nachthemd des Onkels hervor. »Was ist denn da draußen los?«
    Starik rückte seine Brille zurecht, wandte sich wieder dem Buch zu und las den Abschnitt zum dritten Mal.
    »› Seht doch! ‹ , rief Alice und deutete aufgeregt in die Ferne. › Da läuft die Weiße Königin übers Land! Direkt aus dem Wald dort kam sie herausgeflogen – wie schnell diese Königinnen doch rennen können! ‹ › Es wird wohl wieder einmal ein Feind hinter ihr her sein ‹ , sagte der König und drehte sich nicht einmal um dabei. › Davon wimmelt’s in dem Wald dort drüben nur so. ‹«
    Stariks Stimme verklang, und er räusperte sich, weil er einen Frosch im Hals hatte. Seine Augen verschleierten sich, und er konnte nicht weiterlesen. »Genug für heute«, schnarrte er und zog die kleine Vietnamesin unter seinem langen Nachthemd hervor. Er rutschte vom Bett, tappte mit nackten Füßen zur Tür und verließ das Zimmer, ohne auch nur »Schlaft schön, Mädchen« zu sagen. Die Nichten sahen ihm nach, blickten sich dann verwundert an. Das Schluchzen der Ossetin hatte sich in einen Schluckauf verwandelt, den die anderen Mädchen zu verjagen versuchten, indem sie spitze Schreie ausstießen und schreckliche Grimassen schnitten.
    Im Refugium seiner Bibliothek goss Starik sich einen großen bulgarischen Cognac ein und setzte sich damit auf den Boden, den Rücken gegen den Safe gelehnt. Von allen Passagen, die er

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