Die Company
verlor die letzte Hoffnung, dass seine Analyse von Reagans Absichten falsch gewesen war. »SASHAs Informationen haben sich bislang immer als korrekt erwiesen …«
»Noch etwas«, sagte Starik. »Wir haben ein Telegramm an die amerikanischen Abschussbasen für Mittelstreckenraketen in Europa dechiffriert, mit dem Inhalt, dass alle Urlaubsanträge für die Zeit ab dem fünfundzwanzigsten November abschlägig beschieden werden. Das NATO-Manöver ABLE ARCHER 83 ist um zwei Wochen vorverlegt worden und soll jetzt am ersten Dezember um drei Uhr morgens beginnen.«
Andropow presste sich die Sauerstoffmaske auf Mund und Nase. Das Atmen schien all seine Kraft zu erfordern. Schließlich nahm er die Maske von den bläulichen Lippen. »Die einzige Hoffnung, einen atomaren Holocaust zu verhindern, liegt darin, dass CHOLSTOMER sie psychologisch destabilisiert. Wenn das kapitalistische System um sie herum zusammenbricht, verlieren Reagan und seine Leute vielleicht die Nerven.« Er wischte sich mit dem Handrücken Schleim von den Lippen. »Tun Sie’s«, keuchte er schließlich. »CHOLSTOMER ist unsere letzte Hoffnung.«
Von seinem Tisch hinten im Restaurant des Hotel Dean’s aus behielt Hippolyte Afanasijewitsch Fet, der mürrische KGB-Resident, die CIA-Offiziere im Auge, die am ersten Tisch in der schäbigen Hotelhalle Bier tranken. Die Amerikaner sprachen leise, lachten jedoch ausgelassen – so ausgelassen, dass man nie auf die Idee gekommen wäre, dass jenseits des Khyber-Passes, nur eine halbe Autostunde entfernt, ein Krieg tobte. Um halb acht teilten die Amerikaner die Rechnung unter sich auf, zählten Rupien auf den Tisch und schoben geräuschvoll ihre Stühle zurück, um zu gehen. Fets Tischgenossen – der leitende Dechiffrierer der Residentur und ein Militärattaché am sowjetischen Konsulat – machten ein paar hämische Bemerkungen über das Benehmen von Amerikanern im Ausland. Amerikaner erkannte man auf Anhieb, sobald sie einen Raum betraten, meinte der eine. Sie taten immer so, als ob ihnen das Land gehöre, in dem sie gerade waren, pflichtete der andere ihm bei. Fet sagte, die werfen mit Rupien nur so um sich, als würden sie sie im Hinterzimmer der CIA-Dienststelle drucken. Vielleicht tun sie das ja, meinte der Militärattaché, und alle drei Russen mussten lachen. Fet entschuldigte sich, um zur Toilette zu gehen. »Lassen Sie die Rechnung bringen und zahlen Sie schon mal, aber geben Sie nicht so viel Trinkgeld wie die Amerikaner – die Pakistaner berechnen sowieso schon zu viel«, wies er seinen Mitarbeiter an.
Fet schlenderte durch das Restaurant zur Halle. Er ging an der Tür zur Herrentoilette vorbei nach draußen und auf den Parkplatz hinter dem Hotel. Die Amerikaner stiegen gerade in ihre beiden Chevrolets. Fet schritt auf die Beifahrerseite des einen Wagens und bedeutete dem amtierenden Dienststellenleiter, das Fenster herunterzukurbeln.
»Wen haben wir denn da?«, bemerkte der Amerikaner. »Boris Karloff persönlich. Haben Sie vielleicht irgendwelche Staatsgeheimnisse anzubieten, Fet?«
»Das habe ich in der Tat.«
Der Amerikaner grinste noch immer, aber seine Augen blickten plötzlich interessiert. Er gab den anderen ein Zeichen, und alle stiegen wieder aus und umringten den Russen. Zwei von ihnen entfernten sich ein paar Schritte und behielten den Parkplatz im Auge.
»Okay, Fet, worum geht’s?«, fragte der Dienststellenleiter.
»Ich möchte überlaufen. Aber ich lasse mich nicht dazu überreden, als Überläufer an Ort und Stelle zu bleiben. Entweder ich komme jetzt mit oder überhaupt nicht.« Er klopfte auf seine Jacketttaschen, in denen dicke Umschläge steckten. »Ich habe die gesamte Korrespondenz des letzten Monats zwischen der Zentrale und der Residentur in der Tasche. Und ich habe viele andere Geheimnisse im Kopf – Geheimnisse, die euch überraschen dürften.«
»Und was ist mit Ihrer Frau?«, fragte einer der Amerikaner. »Der wird’s schlecht ergehen, wenn Sie abhauen.«
Ein böses Lächeln erschien auf Fets eingefallenem Gesicht, so dass er noch mehr wie Boris Karloff aussah. »Meine Gattin hat mir gestern Abend eröffnet, dass sie sich in den jungen Leiter unseres Konsulats verliebt hat, ein richtiges Arschloch. Sie hat mich um die Trennung gebeten. Die soll sie kriegen, und zwar eine, die sie ihr Lebtag nicht vergisst.«
»Ich glaube, er meint es ernst«, sagte einer der Amerikaner.
»Ich meine es sehr ernst«, versicherte Fet.
Der Dienststellenleiter wog Für und
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