Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
gleich, was passiert, Tricia, ich bleibe hier in Lonesome Bend. Ich habe genug vom Vagabundenleben, und ich habe es satt, vor meinen Problemen davonzulaufen. Ich bleibe für immer.“
„Das ist großartig!“, rief Tricia begeistert.
„Ich dachte, ich fange damit an, dass ich Primrose als Teilzeitkraft gewinne“, fuhr Carolyn fort, zutiefst dankbar für den Themenwechsel. „Natürlich nur, wenn es dir recht ist. Sie hat ein paar hochinteressante Ideen und ist außerdem die geborene Verkäuferin.“
„Das ist sie“, pflichtete Tricia Carolyn bei. „Biete ihr den Job an, sobald du meinst, der richtige Zeitpunkt ist gekommen. Ich überweise inzwischen schon mal eine Vorauszahlung auf unser Geschäftskonto, um den Stein ins Rollen zu bringen.“
Schon wieder war Carolyn den Tränen nahe. „Willst du eswirklich so, Tricia? Bist du dir ganz, ganz sicher? Wenn nicht, würde ich es schon verstehen, und ich komme auch ohne den Laden gut zurecht …“
Na ja, vielleicht nicht unbedingt gut – sie liebte den Laden –, aber sie würde, wie immer, überleben und irgendwann Erfolg haben.
Tricia nahm sie auf ihre typisch impulsive Art in die Arme, rasch und absolut aufrichtigen Herzens. „Tja, der Laden käme aber nicht ohne dich zurecht, und ich auch nicht. Ich bekomme ein Kind, Carolyn, keine Lobotomie. Bevor ich nach Lonesome Bend kam, um Dads Nachlass zu regeln, habe ich eine Galerie geleitet, schon vergessen? Ich liebe Conner mehr, als ich je geglaubt habe, einen Mann lieben zu können, und wir sind beide verrückt nach diesem Baby und all seinen Brüdern und Schwestern, aber ich muss regelmäßig mit Kunst zu tun haben. Ich brauche Farben und Strukturen und all das.“
Carolyn verstand sie nur zu gut; Kunst nährte ihre Seele, sie war eine Art von Gebet für sie, Lobgesang und Danksagung.
Sie dachte an Tricias Ankunft in der Stadt vor ein paar Jahren. Natürlich hatte es Gerede gegeben, als sie bei ihrer Urgroßmutter einzog und den Camping- und Wohnmobilplatz von River’s Bend sowie das heruntergekommene Bluebird-Kino zum Verkauf anbot. Die Leute behaupteten, Tricia wäre zu sehr Großstadtpflanze für ein Städtchen wie Lonesome Bend, auch wenn sie von Kind an die Sommer hier verbracht hatte. Alle waren überzeugt, dass sie zurück auf dem Weg nach Seattle und in ihr altes Leben sein würde, bevor die Tinte auf dem Kaufvertrag für die Grundstücke ihres Vaters trocken war.
Doch dann hatte Tricia sich in Conner Creed verliebt, ihn geheiratet und sich hundertprozentig in die Gemeinde eingegliedert.
Nachdem Carolyn Tricia zur Garage begleitet und ihr nachgesehen hatte, ging sie zurück ins Haus und wusste nichtsRechtes mit sich anzufangen.
Sie dachte, sie würde sich in dem Haus, groß, wie es war, einsam fühlen, wenn nur sie und Winston verloren darin umherstreiften, aber so war es ganz und gar nicht. Das Haus war ein richtiges Heim, ein Zufluchtsort, wo ein Mann und eine Frau sich liebten, Tag für Tag, durch dick und dünn gingen und Seite an Seite auf ihre Art arbeiteten, um ihre Ranch und ihre Sippe am Laufen zu halten. Hier wohnten Erinnerungen, waren praktisch greifbar, und die Bilder an den Wänden und auf den Kaminsimsen zeigten lächelnde Gesichter und Geburtstagstorten und Weihnachtsbäume und erste Autos.
Im Flur zwischen dem Wohnzimmer und dem Gästezimmer, in dem sie schlief, hielt Carolyn inne und betrachtete einige dieser Fotos eingehender. Eines zeigte Brody, Conner und Steven auf einem Angelausflug, wie es aussah. Ein blondes sonnengebräuntes Trio, alle drei noch vor der Pubertät. Strahlend hielten sie die Beute des Tages in die Höhe.
Daneben hing eine Aufnahme von einem Weihnachtsmorgen vor langer Zeit – Brody und Conner in Pose vor einem gigantischen Baum, vollgehängt mit einem Sammelsurium von Christbaumschmuck. Beide hielten die Lenkstangen nagelneuer Fahrräder. Steven, der den Großteil des Jahres bei seiner Mutter in Boston lebte, war nicht auf dem Bild. Doch am Kamin hing ein überquellender Strumpf, auf den sein Name aufgestickt war. Demnach war sein Besuch wohl in Kürze erwartet worden.
Carolyn lächelte, berührte die Gesichter mit der Fingerspitze und ließ sich bei Brodys Bild etwas mehr Zeit. Wenn man die Jungen auf diesen Fotos ansah, konnte man meinen, sie hätten es immer leicht gehabt, doch das traf natürlich nicht zu.
Jeder Mensch, ganz gleich, wie viel Glück er in mancher Hinsicht in seinem Leben hatte, musste Dinge bewältigen, sich Drachen stellen
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