Die da kommen
ist nicht schwedisch. Es ist Kantonesisch und bedeutet Abfall. Da schwingt die Tür auf, und ein großer, blonder Sicherheitsmann kommt zusammen mit dem schwarzen Pfleger herein. Jonas jault auf, lässt meinen Arm los, springt auf und stürmt an dem Wachmann vorbei. Der Pfleger greift nach seinem Arm, doch Svensson reißt sich los und stürzt nach draußen. Dr. Aziz schlägt mit der Hand auf irgendetwas, worauf eine Sirene losheult. Der Wachmann ist schon weg. Vor der Tür höre ich Annika schreien, dass Jonas doch stehen bleiben solle.
Dr. Aziz eilt hinaus, und ich folge ihr. Keine Spur von Jonas, dem Pfleger oder dem Wachmann, aber die Schwingtürenfallen zu, gerade als Annika Svensson sie erreicht. Sie stößt sie wieder auf und rennt hindurch, wobei sie immer noch nach ihrem Mann ruft: Stanna, Jonas! Stanna!
Als Dr. Aziz und ich zum Empfang kommen, deutet eine Menschentraube auf die Drehtür, Mitarbeiter brüllen in Funkgeräte. Annika schießt nach draußen, ich hinterher. Jonas wird noch von anderen gejagt, einige tragen weiße Kittel. Der Krankenpfleger mit den Stammesnarben kauert am Boden und umklammert stöhnend seinen Bauch. Jonas muss ihn geboxt haben. Dann sehe ich ihn weit hinten im Zickzack über den Parkplatz sprinten. Seine blassen Hinterbacken wackeln hin und her, als er zwischen den Autos hindurchläuft, sich gelegentlich duckt und wieder hochschießt. Alle brüllen. Jonas ist immer noch weit vorn, läuft in Richtung Ausfahrt zur dahinterliegenden Straße. Ich bin ein schneller Läufer, weiß aber, dass es hoffnungslos ist. Ich renne trotzdem weiter. Vor mir schreit Annika.
Es ist eine andere Art von Schrei.
Ich habe noch nie einen Verkehrsunfall gesehen.
Der Lastwagen ist gewaltig, ein Vierachser. Schmutzig. Unter dem Schmutz ist er rot und gelb. Er muss an die acht Tonnen wiegen. Die Bremsen kreischen schrill, als der Fahrer Jonas entdeckt und ausschert, um ihm auszuweichen. Vergeblich. Das Geräusch, als er ihn trifft: peng oder klonk . Durch den Aufprall wird Jonas schräg nach oben geschleudert. Er könnte einer von Freddys Action Men sein, der munter durch die Luft fliegt. Ich sehe ihn nicht landen. Ich sehe nur, wie der Laster gegen die Mauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite prallt. Ein gewaltiger, widerhallender Knall, dann geht der Motor aus.
In der nachfolgenden Stille wird mein Verstand ganz leer. Ich stehe da und schaukle mit dem Oberkörper. Ich registriere einen Wachmann, der in ein Walkie-Talkie brüllt, AnnikaSvensson sinkt auf den nackten Asphalt, Sanitäter eilen mit einer Trage vorbei, ein Mann fotografiert mit seinem Handy. Binnen Sekunden flackert überall Blaulicht, und an der Unfallstelle wimmelt es von Menschen.
Ich kann nichts tun und gehe rasch zurück ins Krankenhaus, wo ich mich auf einer Toilette ausgiebig erbreche. Was herauskommt, ist dunkel, weil ich schwedisches Knäckebrot zum Frühstück gegessen habe, und das ist aus Roggen. Ich hatte außerdem Räucherlachs, einige frische Blaubeeren und rote Johannisbeeren. Auch davon sind noch Spuren zu erkennen, und alles zusammen ergibt eine widerliche farbliche Mischung.
Vom Hotel aus rufe ich im Krankenhaus an, um herauszufinden, was es Neues gibt, danach stehe ich lange unter der Dusche. Ich überlege, wie ich Freddy die Geschichte von Jonas und dem Lastwagen erzählen würde.
Ein schwedischer Mann hat gesagt, dass Trollkinder ihn dazu gebracht hätten, seine Arbeit zu zerstören. Er hat versucht, sich zu vergiften. Als das nicht funktionierte, schloss man ihn in einem sicheren Haus ein. Aber es war nicht sicher genug. Er rannte unter einen Lastwagen. Er wird jetzt operiert. Er hat sehr viel Blut verloren. Der Fahrer des Lastwagens hat sich das Schlüsselbein und mehrere Rippen gebrochen. Und jetzt kommt, was ich über skandinavische Trolle weiß, Freddy K: Sie stehlen Menschen und verschleppen sie in die Berge. Trolle können ihre Gestalt verändern. Manche sehen sogar elegant aus. Trollfrauen verführen Männer, aber man kann sie erkennen, weil sie nur aus einer Fassade bestehen: Sie zeigen einem nie ihren Rücken. Es gibt sie in allen Größen. Manche haben Schwänze. Sie verraten nie ihren Namen.
Ich rufe Ashok über Skype an und berichte kurz von meinem unterbrochenen Gespräch mit Jonas Svensson und dennachfolgenden Ereignissen. Als ich Jonas’ Prognose – nicht gut – erwähne, vergräbt Ashok den Kopf in den Händen. Als er mich wieder ansieht, steht sein Haar in alle Richtungen vom Kopf
Weitere Kostenlose Bücher