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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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dazu, wenn ich da rankomme. Fürs Erste aber machst du einfach nur dein Ding. Die übliche Strategie: beschreiben, verarbeiten, verhindern beziehungsweise eliminieren.«
    Als Stephanie etwas sagen will, friert das Bild ein. Also sage ich: »Ihr seid jetzt weg«, beende den Anruf, lade Ashoks PDF herunter und gehe offline.
    Ich öffne die Datei. Sunnys Selbstmordzeichnungen sind verblüffend. Ich verstehe, wieso Mrs Chen dieses sonderbareVermächtnis nicht mit ihrem Mann in Verbindung bringen wollte. Sie sind dreist und ungestüm, was nicht zu ihm passt. Die drei Bilder sind grob und mit breiten Pinselstrichen ausgeführt. Das hätte Freddy auch gekonnt.
    Eine davon zeigt ein menschliches Auge, aus dem etwas wie Lichtstrahlen schießt und das an das allsehende Auge auf der Spitze der Pyramide erinnert, die auf dem amerikanischen Dollarschein abgebildet ist.
    Dann gibt es eine Ellipse, die an eine Halskette mit lang gezogenen Perlen erinnert. Ihre Enden sind mit Spitzen versehen, wie schmale Knochen.
    Ganz unten auf der Seite, wo ein Künstler gewöhnlich signieren würde, befindet sich ein Handabdruck. Die Finger sind aneinandergelegt, nur der Daumen ist abgespreizt. Es erinnert an ein Stoppschild.
    Hat die Polizei die Fingerabdrücke mit denen von Sunny Chen verglichen? Seine Frau hat es möglicherweise verlangt. Schließlich hat sie auch darauf beharrt, dass die Zeichnungen nicht von Sunny stammen können. Die ungleichmäßige Ellipse und das Auge sind ziemlich groß im Verhältnis zur Hand.
    Ich hole mir die Akte Jenwai auf den Bildschirm und rufe das Bild des Flecks aus der Fabrik auf, den die Polizei auf Drängen von Sunny Chen unbedingt auf Fingerabdrücke untersuchen sollte und über den er so ungern sprechen wollte: des Flecks, von dem er später behauptete, er habe ihn selbst dort angebracht. Er bezeichnete ihn als »Beweis«. Ich betrachte ihn lange. Dann schicke ich Ashok eine SMS und bitte um die Abmessungen der »Selbstmordzeichnungen«. Wenn ich den Maßstab kenne, weiß ich auch, ob der Handabdruck der eines Mannes sein kann. Falls nicht, wie hat Sunny ihn bewerkstelligt? Er sagte, »sie« hätten Druck ausgeübt und ihn dazu gebracht, dass sein Körper seinem Verstand nichtmehr gehorchte. Und Jonas behauptete, »Trollkinder« hätten ihn als Marionette benutzt, um das System zu sabotieren. Er glaubte, er könnte einen »verschluckt« haben. Er benutzte die Analogie eines Bandwurms.
    Sie sind Reisende , hatte Sunny Chen gesagt. Sie gehen, wohin sie wollen.
    Meinen Sie, die wären für nichts von so weit gekommen? , hatte Jonas gesagt.
    Wer war gekommen? Und von woher?
    Später am Abend gehe ich ins Internet. Es hat einen weiteren Angriff gegeben, diesmal in Südspanien. Die Schuldigen sind neunjährige Zwillingsbrüder. Kind Drei und Kind Vier, denke ich sofort, sie haben ihren Vater vor den Augen der Familie, die sich im Hof ihres Bauernhauses zum Essen versammelt hatte und den Geburtstag eines kleineren Kindes feierte, eine Steintreppe hinabgestoßen. Danach wollten die Jungen nichts mehr sagen. Wieder gab es kein erkennbares Motiv, doch am Morgen des Angriffs hatten sie ihren Eltern erzählt, sie seien in der Nacht vom gleichen Albtraum aufgewacht.
    Der Vater starb.
    Ich greife nach einem Stift und spitze ihn mit sechs Drehungen, wobei ich den Duft des langen, makellosen Spans einatme, der aus dem Spitzer auftaucht. Kiefernholz und Grafit. Sehr angenehm. Dann greife ich nach einem Block und beginne zu zeichnen.
    Männer greifen Institutionen an, die sie lieben.
    Kinder wenden sich gegen ihre Familien.
    Zwei überlappende Kreise, deren Schnittmenge irrationale Gewalt bildet.
    Was sonst verbindet sie? Jemand hat meinen alten Mentor aus dem Ruhestand gelockt. Massenhysterie ist Professor Whybrays Fachgebiet. Das Innenministerium, es ist geheim ,hatte Ashok gesagt. Er hat einen Auftrag in Aussicht gestellt . Denkt der alte Mann in dieselbe Richtung wie ich?
    Um 20.15 Uhr gehe ich zum Abendessen ins Restaurant, wo ich das schwedische Wort für Flusskrebs lerne: kräfta . Als ich zurückkomme, finde ich eine Nachricht von Annika Svensson vor. Sie operieren noch. Sie wird ihren Sohn abholen und dann im Krankenhaus warten. Sie ruft mich an, wenn es Neuigkeiten gibt.
    Mein rechter Oberarm tut an der Stelle weh, wo Jonas seine Finger hineingegraben hat. In der Hoffnung, dass es hilft, lasse ich mir ein heißes Bad ein. Man kann die Temperatur an den Wasserhähnen einstellen: Ich wähle einundvierzig Grad. Der

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