Die da kommen
ab.
»Meine Güte, diesmal musst du dir dein Geld wirklich sauer verdienen, Maestro.«
»In der Akte Chen gibt es einen Umschlag mit einer Probe. Ich glaube, es ist etwas Mineralisches. Könntest du das analysieren lassen?«
»Klar. Kann aber ein paar Tage dauern.«
»Und der Abschiedsbrief?«
»Es sind nur ein paar komische kleine Zeichnungen. Ich habe dir eine PDF-Datei geschickt. Stephanie Mulligan hat eine Theorie über Chen und Svensson. Willst du sie hören? Belinda, holen Sie Steph mal eben herein.«
»Sicher.« Sie greift zum Telefon.
»Nein, lass das«, sage ich.
»Wieso?«, fragt Ashok.
»Es könnte mein Urteilsvermögen trüben.«
»Du kannst nicht klar denken.« Er lehnt sich näher an den Bildschirm, doch ich kann seinen Ausdruck nicht erkennen. »Und du brauchst eine Rasur. Du hast eine Stelle am Hals übersehen. Du musst alles im Griff haben, Kumpel. Davon hängt eine Menge ab. Hey, Steph.« Er dreht sich um, als sie hereinkommt. »Setz dich zu uns.«
Wenn er wüsste, was Stephanie für mich war und vielleicht immer noch ist, würde er das nicht tun.
Ich bin mir der hellen Haare bewusst, des ausdrucksstarken, ungeschminkten Gesichts, des weißen Halses, der Augen, die Blickkontakt fordern. Der mickrigen Brüste, über die ich oft unfreiwillig fantasiert habe und die mich in Verbindung mit anderen Dingen bis heute siebenundvierzig Mal zum Orgasmus gebracht haben. Ich konzentriere mich auf ihren Haaransatz.Sie hebt die Hand, lächelt und sagt »Hi«. Sie kann sehr professionell sein. Damit meine ich, dass sie sich sehr gut verstellen kann. Bei ihren Kollegen ist sie beliebt. Die Leute bezeichnen sie als »bescheiden« und »verständnisvoll«. Ich nicke zurück. Sie zieht einen Stuhl heran und setzt sich neben Ashok, der den Bildschirm so zurechtrückt, dass beide zu sehen sind.
»So, Steph. Ich habe Hesketh gerade erzählt, dass du eine Theorie entwickelt hast.«
Mein Blick wandert zum Rand des Laptops.
»Vermutlich hast du selbst schon daran gedacht, Hesketh«, setzt sie an. »Das hier ist nur meine bescheidene Meinung. Mir fällt auf, dass die Handlungsweise der Männer stark von ihrer normalen Persönlichkeit abweicht, als würde etwas hinter den Kulissen ablaufen. Als würde jemand von außen Druck ausüben.« Die Verbindung ist schlecht, ihre Stimme klingt unregelmäßig. »Chen und Svensson würde ich vom Typ her als Drohnen bezeichnen. Sie arbeiten gewissenhaft und sind ihrer Firma gegenüber loyal. Sie passen nicht ins Schema eines Saboteurs. Das wissen wir aus deinem Bericht über Chen und dem, was Annika Svensson Ashok gegenüber von ihrem Mann erzählt hat.«
»Der sich soeben vor einen Lastwagen geworfen hat«, fügt Ashok hinzu. »Hesketh hat es mit angesehen. Der Bursche kämpft um sein Leben.«
Sie weicht kaum merklich zurück, und ihr Gesichtsausdruck verändert sich. Ihre Stimme auch. »Hesketh, das tut mir leid. Vielleicht sollten wir ein anderes Mal miteinander reden. Du stehst sicher unter Schock.«
»Nein. Die Verbindung ist schlecht, aber bringen wir’s hinter uns.« Stephanie und Ashok wechseln Blicke.
»Na schön«, sagt sie dann. »Jemand hat diese Männer gezwungen, etwas zu tun, das gegen ihre Natur ist. Sie habensich manipuliert gefühlt. Als wären sie jemandem oder irgendetwas ausgeliefert. Selbstmord war für sie der einzige Weg, um Widerstand zu leisten und die Kontrolle zurückzugewinnen. Klingt das nachvollziehbar?«
Ich beginne, auf dem Notizpapier des Hotels ein neues Venn-Diagramm zu zeichnen. Ich drücke so fest, dass die Bleistiftmine bricht.
»Bis zu einem gewissen Grad schon.« Sie hat nicht erwähnt, dass bei Chen und Svensson das Unterbewusste womöglich aktiv gegen ihr bewusstes Selbst rebelliert hat. Dass sie sozusagen hinter ihrem eigenen Rücken gehandelt haben. Ich könnte die Idee einer dissoziativen Fugue ansprechen, werde es aber nicht tun. Das hier ist meine Ermittlung.
»Vorerst haben wir alle früheren Klienten vor einer möglichen unmotivierten Sabotage gewarnt und ihnen Überwachung und Beratung angeboten. Das war Stephanies Idee. Nette Geste, oder?«
»Klingt lukrativ«, sage ich. Stephanie schaut weg.
Wie achtlos sie mein Leben aufgewühlt hat.
Ashok grinst. »Gehört alles zum Premiumservice. Hör mal, Hesketh, bis jetzt geht es um zwei Klienten. Aber ich will ehrlich sein, es gibt Gerüchte, dass da noch mehr passieren wird, und zwar eine Menge. Da läuft irgendein globaler Scheiß. Ich schicke dir ein paar Unterlagen
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