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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Raum füllt sich mit Dampf. Ich lasse mich ins brühheiße Wasser gleiten. Die Position ist nicht gerade entspannend: Um die Arme unter der Oberfläche zu haben, muss ich meine Beine am anderen Ende heraushängen lassen. Ich inspiziere die blauen Flecken, die von der Hitze des Wassers und dem hellen Licht im Badezimmer verstärkt werden: in der Mitte Victory-Violett und dazu mehrere Gelbschattierungen von Butterkaramell bis Ocker an den Rändern, wo es leicht ins Grünliche verläuft. Das Muster des Ödems ist ungewöhnlich. Jonas hat mit seinem Griff einen Großteil meines Oberarms umspannt. Doch die Abdrücke – vier überraschend kleine Flecken, die seine Finger auf meinem Bizeps hinterlassen haben, und ein Daumenabdruck auf dem Trizeps – konzentrieren sich auf einen extrem begrenzten Bereich.
    Wenn ich nicht wüsste, dass ein Erwachsener mich dort umklammert hat, könnte man es für den Abdruck einer Kinderhand halten.

5
    Bevor ich ins Bett gehe, rufe ich Ashok an und bringe ihn in Sachen Svensson auf den neuesten Stand. Während ich rede, fährt er sich mit den Fingern durch die Haare. Das macht er immer, wenn ihn etwas erschüttert.
    »Hast du die Abmessungen von Sunny Chens Abschiedsbrief ermittelt?«, frage ich.
    »Ja, DIN A4.« Er schiebt das Kaugummi in seinem Mund umher. Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass Kaugummikauen entscheidend zur Konzentration beiträgt.
    »Was bedeutet, dass der Handabdruck zu klein für Sunny Chen ist. Also hatte seine Frau recht. Er stammt nicht von ihm.«
    »Also, ich wüsste gern, wo das hinführen soll. Kommt mir vor wie eine Sackgasse. Vorerst machen wir es wie folgt: Du fährst morgen zum Flughafen.«
    »Der Zug wäre mir lieber.«
    »Das wird in diesem Fall nicht funktionieren.« Er nimmt das Kaugummi aus dem Mund und drückt es auf einen gelben Klebezettel. »Dubai. Neuer Fall. Ich hab doch gesagt, es wird noch mehr davon geben. Diesmal ist es die Bauindustrie. Ein Typ namens Ahmed Farooq. Hat sich gestern umgebracht. Der Klient ist sein Auftraggeber. Eastern Horizons.«
    Zwei Gedanken schießen mir durch den Kopf. Erstens, ich habe mein Arabisch-Wörterbuch nicht dabei. Aber ich äußere nur den zweiten. »Immerhin ist er schon tot.«
    Ashok zieht eine Augenbraue hoch. »Keine hässlichen Überraschungenmehr, was? Hoffen wir, dass Svensson durchkommt.«
    »Erzähl mir von dem Neuen.« Ich bin hellwach.
    »Simple Sabotage. Farooq hat einige Nullen aus einem wichtigen Kaufvertrag entfernt, der schon von den Rechtsanwälten abgesegnet war. Hat es geschafft, die Geschäfte seiner Firma auf fünf Kontinenten zu versauen. Sieht absolut willkürlich aus. Für ihn springt nichts dabei heraus. Kein Motiv. Hätte er sich nicht umgebracht, wäre er im Gefängnis gelandet. Hast du schon eine Theorie?«
    »Menschen sind überaus weit entwickelt, was die Physiologie der Selbsttäuschung betrifft. Unter Druck kann das Unterbewusstsein die Kontrolle übernehmen und dich zwingen, deinen wahren Wünschen nachzugeben, den tief verborgenen, die dein bewusster Verstand ablehnt. Dissoziation ermöglicht es dir, Taten zu begehen, die dein bewusster Verstand nicht dulden würde. Später verschließt du die Augen davor.«
    »Wie funktioniert das? Du bist wach, schlafwandelst aber?«
    »Ja. Ich nehme an, Sunny Chen befand sich in einem dissoziativen Zustand, als er die fraglichen Dokumente weitergab, die Jenwai enttarnten. Jonas Svensson hat behauptet, er habe die Bank gegen seinen Willen sabotiert. Das klingt ganz ähnlich.«
    »Da bist du also gerade dran?«
    »Teilweise.«
    »Und sonst?«
    »Ich nehme an, du wirst aus Prinzip Einwände erheben.«
    »Probier es doch aus.«
    Wie erwartet habe ich gerade mit meiner These begonnen, als er verkündet, ich sei »auf dem total falschen Dampfer«. Er schlägt zur Bekräftigung auf den Schreibtisch, und ich sehe, wie Belinda Yates im Hintergrund zusammenfährt. »Flieghin und sieh zu, dass du irgendeinen Sinn in diesem Durcheinander findest, der nicht mit … wie heißt es doch gleich … zu tun hat.«
    »Indigenen Glaubenssystemen.«
    »Genau. Es ist mir egal, ob du einen Doktortitel darin hast. Unsere Klienten sind internationale Firmen, die von Erwachsenen geleitet werden. Wir haben Konkurrenten da draußen. Also keine beschissenen kleinen Männchen.« Ashok ist ein Kind des Zeitalters der Vernunft. Als solches hängt er an der Vorstellung, wir hätten den Aberglauben und die Ängste abgelegt, die das Leben unserer mittelalterlichen

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