Die da kommen
werde weitererzählen.«
Als sie und Flynn gegangen sind, frage ich Professor Whybray: »Könnte der exzessive Salzkonsum zu diesem Verhalten führen?«
»Da haben wir bei der Behandlung angesetzt. Wir haben hier in der Einrichtung das Salz komplett aus dem Speiseplan gestrichen. Bislang ohne Wirkung. Wir können sie nicht zu Hause überwachen, und manches wird hereingeschmuggelt. Allerdings haben wir sehr merkwürdige Verhaltensweisen beobachtet, die sich täglich verändern. Es fällt uns schwer, damit Schritt zu halten.« Er dreht den Bildschirm so, dass wir die Kinder hinter ihm besser erkennen können. »Sagen Sie mir, was Sie beobachten.«
»Ungewöhnliche Bewegungsmuster. Instinktive Koordination. Wie bei Vogel- oder Fischschwärmen.«
Stephanie deutet auf den oberen Rand des Bildschirms. »Da scheinen zwei miteinander zu kämpfen.«
Im Hintergrund raufen ein blondes Mädchen und ein schwarzer Junge. Der Junge trägt eine Schwimmbrille.
»Wer wird gewinnen?«, fragt Professor Whybray.
»Das Mädchen«, sage ich. »Falls sie blaue Augen hat.«
Wie zur Bestätigung drückt das Mädchen den Jungen zu Boden, reißt ihm die Brille ab und rennt weg. Stephanie sieht mich fragend an.
»Jonas Svensson trug eine dunkle Brille. Er hatte blaue Augen. Er litt unter einer Augenentzündung. Die Tatsache, dass viele dieser Kinder Schutzbrillen tragen, verrät mir, dass sie ihre Augen entweder vor Sonnenlicht schützen oder Anzeichen einer Infektion verbergen wollen. Da Kinder in der Regel nicht eitel sind, vermute ich Ersteres. Und eine blasse Iris benötigt mehr Schutz als eine dunkle. Schon Todesfälle?«, frage ich und denke an die Autopsien.
»Wir warten noch.«
Ich erzähle ihm von Jonas Svenssons Nierenanomalie.
»Unter normalen Umständen würde ich es für weit hergeholt halten«, sagt Professor Whybray. »Aber angesichts dieser Vorgänge …« Wenn er die Stirn runzelt, kann man die tiefen Furchen sehen. »So etwas ist noch nie da gewesen. Jedenfalls freue ich mich zu sehen, dass Sie nicht an Schärfe verloren haben, Hesketh. Es ist schön, wieder mit Ihnen zu arbeiten. Und mit Ihnen natürlich auch, Stephanie. Ashok hat Sie in den höchsten Tönen gelobt.«
Wir besprechen das weitere Vorgehen. Heute ist Sonntag. Wir haben noch keine Rückflüge gebucht. Ich verabrede mich mit Professor Whybray und seinem Team für neun Uhr am Donnerstag. Stephanie kommt dazu, falls sie bis dahin aus Dubai zurück ist. Zwischendurch werde ich irgendeine Gelegenheit finden, um dem Professor zu erklären, dass ich aus »persönlichen Gründen« nicht mit ihr zusammenarbeiten kann. Und er wird zustimmen, weil es ihm um mich geht. Da bin ich mir sicher. Wir verabschieden uns, und Stephanie beendet das Gespräch.
Sie trinkt von ihrem Wein. »Ich bin froh, dass wir den Auftrag bekommen haben. Auch wenn es kein klassischer Fall für Phipps & Wexman ist.«
»Ja, das stimmt. Ashok ist ein Katastrophenkapitalist. Er folgt dem Geld.« Ich trinke mein Glas auf einen Zug aus und gebe dem Kellner ein Zeichen, dass ich zahlen möchte. Ich stehe auf.
»Wohin gehst du?«
»Recherchieren und Notizen für Professor Whybray machen.«
Sie legt die Hand auf meinen Arm. »Falls sich diese Sache weiter ausbreitet, steht viel auf dem Spiel, und wir müssenzusammenarbeiten. Also sollten wir die persönlichen Fronten klären.«
Ich setze mich ihr gegenüber und greife nach einer Serviette. »Fünf Minuten. Fang an.« Ich zeige auf meine Uhr. Ich fange an, einen ozuru zu falten. Das Material ist dünn, aber nicht ideal.
»Hesketh?« Sie hat wieder die Hand auf meinem Arm.
Ich schüttle sie ab. »Fass mich nicht an!« Es klingt lauter als beabsichtigt. Der Kellner, der sich genähert hatte, weicht zurück.
»Okay, okay. Bitte, Hesketh.« Stephanie schaut mich unverwandt an, will Augenkontakt. Den wird sie aber nicht bekommen. Kaitlin mag direkte Menschen. Sie bewundert sie und sagt, sie hätten »Mumm«. Ich mag direkte Menschen auch, aber nur, wenn es Kinder sind. »Wir müssen über Kaitlin reden.«
Kaitlin Kalifakidis. Die Frau, die Stephanie mit ihrer Liebe und Lust verrückt gemacht hat. Die Frau, die mir eine Lüge nach der anderen erzählt und mich in einen hässlichen Vogel verwandelt hat, in einen Hahnrei. Beim Empfang von Phipps & Wexman habe ich gesehen, wie sie miteinander redeten und lachten, habe aber nicht begriffen, dass es sich bei der plötzlichen, intensiven Freundschaft um Werbeverhalten handelte. Ich hatte nicht einmal
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