Die da kommen
Senden und schaut hoch.»Erledigt.« Dann schaut sie auf die Uhr. »Ich habe Naomi geschrieben, dass wir einige Verbindungen hergestellt haben, und sie gebeten, uns anzurufen. Zusammen mit deinem Professor Whybray, falls er da ist. Bis dahin haben wir das hier.« Sie zeigt auf die Serviette. »Eine Art von Epidemie.«
»Pandemie«, korrigiere ich sie.
»Die Kinder und Erwachsene befällt. Sie greifen etwas an, das ihnen viel bedeutet, sei es eine Firma oder ein geliebter Mensch. Und dann weigern sie sich, darüber zu sprechen, oder geben einer Gestalt aus ihrem lokalen Volksglauben die Schuld.«
»Einer kleinen Gestalt«, bemerke ich. »Von der Größe eines Kindes. Sie nennen sie Trolle oder Ahnen oder Dschinn oder tokoloshi oder was immer auch zum Aberglauben der Kultur passt, in der sie aufgewachsen sind. Aber es sind immer Kinder. Und die betroffenen Erwachsenen töten sich danach selbst. Nachdem sie eine Menge Salz geschluckt haben. Die Gier nach Salz kann ein Symptom verschiedener medizinischer Störungen sein. Erkrankungen der Nebennierenrinde, Diabetes, Addison-Krankheit. Soweit wir wissen, litt keiner der Betroffenen darunter. Und in meinen Fällen trat es ganz plötzlich auf. Als de Vries anfing, seinen Arm abzulecken, kam es mir vor wie ein tierischer Instinkt. Wie eine Katze mit Magenverstimmung, die Gras frisst. Und der Vorarbeiter sagte, Farooq habe das Salz als Medizin bezeichnet.« Hatten er und de Vries auch anomale Nieren? »Die Kinder und die Saboteure haben zum einen gemeinsam, dass sie alle dramatische ökonomische oder physische Gewaltakte begehen. Zum zweiten gibt es kein offensichtliches Motiv. Ganz im Gegenteil.« Sie nickt. »Drittens wollen sie danach nicht darüber sprechen und geben Kindern die Schuld. Ich denke da vor allem an Svensson. Er hat seiner Frau gesagt, dass Kinder ihn genötigt hätten. Im Allgemeinen können oder wollen sieaber nicht darüber sprechen. Was darauf hindeutet, dass jemand ihnen Angst einjagt, um sie zum Schweigen zu bringen, oder dass sie es aus ihrer Erinnerung gelöscht haben.«
»Was bei den Kindern ganz sicher der Fall ist«, sagt sie.
»Und viertens sind sie begierig nach Salz. Alle Saboteure und mindestens ein Kind. Möglicherweise auch mehrere. Vielleicht alle. Bei Chen konnte keine Autopsie durchgeführt werden. Auf die Ergebnisse von de Vries und Farooq warte ich noch. Es muss nichts bedeuten, aber Svensson hatte eine zusätzliche Niere.«
Ich bewege mich in Spiralen auf eine neue Verbindung zu, doch der Skype-Klingelton in Stephanies Laptop reißt mich aus meinen Gedanken. Sie klopft auf den Platz neben sich. Ich zögere, mich ihr weiter zu nähern, rutsche aber herum, und sie nimmt das Gespräch an. Acht Sekunden später erscheint eine Frau auf dem Bildschirm. Hinter ihr kann ich durchs Fenster winzige, rot gekleidete Gestalten sehen. Kinder.
Sie sagt: »Hallo, Steph.«
»Hallo, Naomi.«
Naomi Benjamin hat sehr kurzes, dunkles Haar, dunkle Augen und große Brüste. Sie trägt einen leuchtend grünen Pullover und ein Halstuch in einer ähnlichen Farbe mit goldenen Streifen, und obwohl es nicht einer meiner bevorzugten Grüntöne ist – ein bisschen zu wenig Safran –, ist der Gesamteindruck exotisch. Sie muss meinen Blick bemerkt haben, denn ganz plötzlich zupft sie an ihrem Halstuch, um den Anblick ihres Dekolletés zu kaschieren.
»Das ist mein Kollege Hesketh Lock«, sagt Stephanie. »Einer unserer brillantesten Ermittler. Experte für Verhaltensmuster.«
Naomi Benjamin nickt und lächelt, und zwei kleine Grübchen erscheinen, die ihren Mund einrahmen. »Victor hat von Ihnen gesprochen. Er kommt, sobald sein Meeting zu Endeist.« Sie deutet mit dem Kopf auf die Kinder. »Wisst ihr, nach Angola hatte ich das Gefühl, dass mich nichts mehr erschüttern könnte. Aber ich habe noch nie solche Kinder gesehen. Sie sind in einer vollkommen neuen Weise geschädigt.« Zusätzlich zu den roten Uniformen tragen manche Schutzbrillen. Damit sehen sie irgendwie lustig und verkleidet aus. Gesichter kann ich nicht ausmachen. Aber ich sehe genug, um ein Muster zu erkennen. »Wir versuchen herauszufinden, wie wir sie wieder zur Normalität führen können. Allerdings wissen wir noch nicht, was genau wir da eigentlich zu heilen versuchen. Die Atmosphäre hier ist sehr dynamisch und bedrückend zugleich.«
»Wie viele sind es?«, fragt Stephanie.
»Im Moment knapp über fünfzig allein in dieser Einrichtung. Unsere ist am besten ausgebaut. Aber der
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