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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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betrachtet habe und die für mich nie etwas anderes gewesen ist als eine der zahlreichen Erklärungen, die der Mensch erfindet, um seiner Existenz einen Sinn zu verleihen.
    Nun aber schlägt diese lebhafte, irrationale, primitive Schattenwelt allmählich zu. Sie greift nicht nur nach den Menschen in meiner Nähe, sondern auch – und zwar in einer Weise, die sich allem widersetzt, was ich weiß – nach mir. Das Bewusstsein der Trennlinie zwischen Fakten und Vermutungen,Wissenschaft und Glaube, ist Teil meiner Konfiguration. Oder war es zumindest.
    Ich habe die gewaltige Kraft des menschlichen Verstandes erlebt und studiert, der Ungeheuer erschaffen und ihnen Beistand leisten kann. Ich kann nur vermuten, dass wir das, was die Grundfesten unserer Realität erschüttert, selbst heraufbeschworen haben.

11
    Mich im Alltag um Freddy zu kümmern, ist nicht meine starke Seite, aber als er am nächsten Morgen zu mir ins Bad kommt, nachdem ich aus der Dusche gestiegen bin, ist sogar mir klar, dass er dringend einer Reinigung bedarf. »Freddy K, du solltest dir die Haare waschen. Und bürsten. Sie sind schmutzig und völlig verfilzt.«
    »Das macht Mama.«
    Ich höre auf, mir die Haare abzutrocknen, und schaue ihn an. Hat er vergessen, was ich ihm erzählt habe? Dass Kaitlin einen Hirnschaden erlitten hat und vielleicht nie mehr aufwacht?
    Ich hocke mich hin, sodass ich mit ihm auf einer Höhe bin, und betrachte seine Sommersprossen. »Freddy K, die Sache ist die: Deine Mama ist nicht hier.«
    Er zuckt mit den Schultern und murmelt: »Das macht Mama.«
    »Freddy Kalifakidis. Sieben Jahre. Alt genug, um es selbst zu machen. Offiziell.«
    Er brüllt: »Ich hab gesagt, das macht Mama!«
    »Freddy K, Freddy K, Freddy K. Was glaubst du, weshalb deine Mama nicht hier ist?«
    Er zuckt mit den Schultern. Dann bebt seine Lippe. »Ich wasche sie nicht. Ich bürste sie auch nicht.« Seine Stimme zittert. »Das macht meine Mama. Das macht meine Mama. Meine Mama. Meine Mama.«
    Ich betaste den wirren, dunklen Haarschopf. »Freddy K.Deine Mama ist im Krankenhaus. Ich gehe sie heute besuchen und bestelle ihr Grüße von dir.« Stephanie will, dass ich das »Ausmaß des Schadens« sehe. Gestern Abend bei unserer unangenehmen gemeinsamen Mahlzeit hat sie darauf bestanden, und ich habe zugestimmt. »Erinnerst du dich, warum sie dort ist?«
    »Nein!« Er reißt die Augen weit auf und kneift sie wieder zu. Dicke Tränen quellen aus den Augenwinkeln und laufen über seine Wangen. Ihre leicht gekrümmte Oberfläche vergrößert die Sommersprossen. Er wischt sich das Gesicht ab. Seine Hand ist voller Rotz. »Ich will nicht, dass du’s mir sagst, okay? Also sag’s mir nicht!«, schreit er. »Sag’s nicht, sag’s nicht, sag’s nicht!« Er hält sich die Ohren zu, und ein Schauer durchläuft seinen kleinen Körper.
    Ich umarme ihn. »Schon gut. Es ist gut, Freddy K. Wir müssen nicht darüber reden.«
    Natürlich tun wir es trotzdem. Wenn nicht jetzt, dann bald. Er vergräbt sein Gesicht an meinem Bauch, sein Körper wird noch immer von Schluchzern geschüttelt. Doch als er sich von mir löst, lächelt er.
    »Öch wosch mör nöcht dü Hoore! Öch wosch sü nöcht, öch wosch sü nöcht!«
    »Jedenfalls bin ich froh, dass du mit Weinen aufgehört hast, Freddy K.«
    Er runzelt die Stirn. »Ich hab nicht geweint. Wovon redest du?«
    »Du hast geweint, Freddy K.« Ich hebe ihn hoch, halte ihn vor den Spiegel und zeige ihm die Tränenspuren. Sie schimmern noch. »Siehst du? Wir haben über deine Mama gesprochen.« Ich setze ihn auf die geflieste Fläche neben dem Waschbecken. »Wir haben darüber gesprochen, wie krank sie ist. Und du hast geweint.«
    »Das war nicht ich.« Er beugt sich über das Becken, drehtden Wasserhahn auf und spritzt sich kaltes Wasser ins Gesicht.
    »Wer war es dann?«, frage ich und reiche ihm ein Handtuch. Er hat mir immer gern Rasierschaum ins Gesicht geschmiert. Ich gebe ihm die Dose. Er drückt einen Spritzer Schaum heraus und klatscht ihn mir ins Gesicht. Dann setzt er einen Klecks auf seine eigene Nase, wie er es immer getan hat. »Ich habe gefragt: Wer war es dann?«
    »War was? Wovon redest du?«
    Ich lasse nicht locker. »Du hast gesagt, dass die Person, die sich wegen deiner Mama aufgeregt hat, nicht du warst.«
    Aber er beharrt darauf, dass er nicht weiß, wovon ich rede. In seinem Gedächtnis hat sich ein Loch aufgetan. Ich habe ihn verloren.
    Ich fange an, mich zu rasieren. Ich beginne immer auf der linken Seite

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