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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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sie ihre Albträume. Oder sie weigern sich zumindest, sie noch einmal zu durchleben. Sie erzählen sich Geschichten, um sich zu trösten.«
    Tue ich das?, frage ich mich, während ich durch die verlassenen Straßen nach Battersea fahre. Oder hat Stephanie einfach unrecht? Sie will Kaitlin gegenüber loyal bleiben. Dazu gehört auch, das zu tun, was Kaitlin gewollt hätte. Aber sie muss sich eingestehen, dass es ihr schwerfällt. Bei jeder unserer Begegnungen sind die Sehnen an ihrem Hals deutlicher zu erkennen. Sie fährt früh mit dem Fahrrad los, lange bevor Freddy aufwacht. Sie geht ihm nach wie vor aus dem Weg und macht keine Anstalten, es zu verbergen. Vermutlichbemüht sie sich, ihre Abneigung gegenüber den Kindern zu unterdrücken und sie nicht, wie die Öffentlichkeit es mittlerweile tut, als Kreaturen zu bezeichnen.
    Doch später an diesem Abend höre ich, wie sie mit ihrer Schwester telefoniert. Und dieses Wort benutzt.
    Sie hat recht. Unser schwieriges häusliches Arrangement kann nicht von Dauer sein.

12
    »Eine Schande war das!«, schäumt Professor Whybray. »Lauter menschliche Wesen – vollkommen ineffektiv und von Panik getrieben.« Er spricht von der Telekonferenz der EU, an der er heute Morgen teilgenommen hat. Später hat er noch ein Meeting im Innenministerium. Er sieht müde aus. Ich frage mich, wann er zuletzt geschlafen hat. »Posierende Politiker, machthungrige Bürokraten, eine Presse, die nach Blut schreit, die NATO, die verschämt die Muskeln spielen lässt, sich selbst überschätzende Wissenschaftler. Und alle wollen Geld. Mein Gott, Hesketh, schauen Sie sich unsere Spezies doch an! Mehrere Milliarden Menschen, die in einem beschmutzten Nest leben. Und jetzt das. Falls es ein anarchistischer Aufstand ist, dann scheint er wirklich Erfolg zu haben. Kein Wunder, dass die Besser-ohne-uns-Bewegung so viel Zulauf hat.«
    Er schaltet die Nachrichten ein. In Venezuela hat eine akute Gastroenteritis über tausend Menschenleben gefordert. Sie wird mit »organischen Substanzen« in Verbindung gebracht, die man zu einer Brotfabrik zurückverfolgen konnte. Die Massenvergiftung wird als terroristischer Anschlag eingestuft. In den Vereinigten Staaten ist ein Flugzeug abgestürzt, es gab über dreihundert Tote. Die Katastrophe ist angeblich das »Werk anarchistischer Sympathisanten«. Die Welle von Sabotageakten, die die Industrie in aller Welt getroffen hat, wird von politischen Führern als »obszöne Terrorkampagne« verurteilt. Angesichts der wachsenden Unruhen schränkenSupermärkte den Verkauf bestimmter Gebrauchsgüter ein, um Hamsterkäufe zu vermeiden. Vermutlich wird in naher Zukunft ein Rationierungssystem eingeführt.
    Unterdessen sind nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit die Angriffe durch Kinder zurückgegangen, was zu Spekulationen darüber führt, ob dieser Aspekt der Pandemie bereits seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Allerdings gibt es neue Berichte über gewalttätige Kinder, die wild umherstreunen und Banden mit bis zu fünfzig Mitgliedern bilden.
    Er seufzt. »Okay, die Welt, in der diese Kinder leben – wodurch wird sie charakterisiert?«
    »Sie schlafen viel, vermutlich weil sie diese Welt als relativ sicheren Ort betrachten, wo sie sich nicht vor Angriffen durch wilde Tiere oder einen anderen Stamm fürchten müssen. Sie haben Angst vor Lebensmittelvergiftungen und Augeninfektionen. Wir wissen, dass die wilden Gruppen an der Küste Algen und kleine Krebse mit weichem Panzer essen. Die Kinder hier ernähren sich von Insekten. Sie sind mit Konservendosen vertraut und begierig nach Salz. Es gibt ein streng hierarchisches soziales System. Opfer und Ehre sind häufig auftauchende Begriffe, meist in Form einer Drohung. Die Verschmelzung verschiedener Sprachen ist eine typische Erscheinung, wenn mehrere Kulturen willkürlich zusammengewürfelt werden. Freddy spricht von der Alten Welt. Es ist die Welt, wie wir sie kennen, aber die Kinder verhalten sich, als hätten sie sie überwunden. Sie scheinen eine Abneigung gegen sie zu hegen, wenn nicht gar Verachtung. Die Tatsache, dass sie Nahrungsmittel horten, bringt mich auf den Gedanken, dass ihre Mythologie auf irgendeiner Überlebensgeschichte basiert. Sie sind sich ihrer Gemeinschaft sehr bewusst, eines ›Wir‹ .«
    »Eine freudsche Interpretation würde das Ganze so deuten,dass die Kinder aus der Alten Welt geflohen sind, weil sie das Gefühl hatten, gesündigt zu haben und bestraft werden zu müssen«, schlägt

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