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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Stirn geküsst, dann auf die Wange und aufs Schlüsselbein, bevor ich mich nach unten in die erogeneren Zonen »vorarbeitete«. Nichts könnte mich jetzt in Versuchung führen. Eine Schneckenspur aus Speichel schimmert an ihrem Kinn. Stephanie lächelt steif und wischt sie mit einem Taschentuch ab. Kaitlin reagiert nicht, obwohl ihr linkes Auge kurz auf ihr ruht, bevor es weiterwandert. Sie hängt am Tropf. Weitere Schläuche führen in Plastikbehälter unter dem Bett.
    »Hallo, Kaitlin«, sage ich. Die Stimme bleibt mir in der Kehle stecken, als würde sie blockiert.
    Sie antwortet nicht. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Aber Stephanie besteht darauf, dass ich mich benehme, als könnte sie mich verstehen. Mir ist ziemlich klar, dass sie es nicht kann, weil sie nur noch dahinvegetiert.
    »Sieh nur, Liebes«, sagt Stephanie. »Hesketh ist da.« Sie streichelt ihre Hand. Wenn ich mir Kaitlin und Stephanie zusammen vorgestellt habe, beschwor ich Bilder herauf, die mich aggressiv machten, beschämten und überforderten. Das ist vorbei. Stephanie ist noch dünner als zuvor und hat neue Falten. Sie muss drei Kilo abgenommen haben, seit das Ganze begonnen hat. Wir sitzen viereinhalb Minuten schweigend da. Alles in allem gibt es wenig, worüber wir sprechen können. Ich fühle gar nichts. Vielleicht später. Vielleicht auch nicht. Wenn man ein Ablaufdiagramm seiner Zukunft erstellt, würde eine Exfreundin, die nur noch dahinvegetiert, nicht ganz ins Bild passen. Churchill wurde einmal gefragt, wovor er sich als Premierminister am meisten gefürchtet habe. Seine Antwort: »Ereignisse.«
    Ich ziehe Origami-Papier aus meiner Aktentasche – eintiefes, starkes Violett namens Thai-Orchidee – und beginne mit einer Lotusblume. Die mochte Kaitlin immer am liebsten.
    »Freddy vermisst dich«, sage ich, während ich mit dem Falten beginne. »Ich habe ihm heute Morgen die Haare gewaschen. Er fügt sich in der Einrichtung gut ein. Ich glaube, es macht ihm Spaß.« Mir fällt nichts mehr ein, was ich erzählen könnte, also falte ich weiter und halte ihr die Blume vors Gesicht, als ich fertig bin. »Die ist für dich. Ein Geschenk. Schau, ich lege sie hierhin, damit du sie sehen kannst. Zu Hause falte ich dir noch mehr, die kann Stephanie dir mitbringen.« Stephanie zwingt sich zu einem Lächeln. »Vielleicht bastelt Freddy dir auch etwas.« Was das betrifft, bin ich allerdings nicht besonders zuversichtlich, weil die Wahrscheinlichkeit nicht höher als fünf Prozent liegen dürfte.
    Ich lege die Lotusblume auf eines der Geräte, an die sie angeschlossen ist. Die Lampen blinken grün.
    »Das ist eine nette Geste«, flüstert Stephanie. »Ich danke dir, Hesketh.«
    »Dann auf Wiedersehen, Kaitlin«, sage ich, nachdem wir weitere drei Minuten dagesessen haben. »Ruh dich gründlich aus. Ich gehe jetzt. Ich muss nach Freddy schauen.«
    Ich hoffe, dass es damit vorbei ist, aber Stephanie folgt mir in den Flur.
    »Sie wird bald entlassen. Sie muss rund um die Uhr gepflegt werden. Meine Schwester wird mir helfen. Ashok gibt mir Urlaub dafür. Also müssen wir beide besprechen, wie wir jetzt weitermachen. Ich will sie auf gar keinen Fall weiteren Gefahren aussetzen. Was ich über Freddy gesagt habe, meine ich ernst. Er kann nicht in diesem Haus bleiben.«
    Ich sage: »Freddy ist ein Kind. Es besteht …«
    »Keine Gefahr? Behauptest du etwa, Freddy stelle keine Gefahr dar?«
    »Für Kaitlin besteht kein Risiko«, sage ich. »Ich werde da sein.«
    »Sie ist schon einmal in Gefahr geraten, obwohl du da warst. Nur ist sie jetzt zehnmal so verletzlich wie zuvor. Herrgott, Hesketh. Ich dachte, du würdest es begreifen, wenn du sie in diesem Zustand siehst.« Ich beobachte ihren Mund, während sie spricht. Ihr Lippenstift ist pflaumenfarben, und auf ihrem linken Eckzahn ist ein kleiner Kratzer zu erkennen. »Er hat sie fast umgebracht. Du hast doch selbst gesehen, was er getan hat. Sie vegetiert nur noch vor sich hin, Hesketh. Ihr Leben ist praktisch vorbei.« Ich schweige. »Und wer kann schon sagen, wer von uns als Nächstes dran ist?«
    »Das wird er nicht tun.« Ich wende mich zum Gehen. Ich war insgesamt vierundzwanzig Minuten in diesem Krankenhaus und bin abmarschbereit.
    Als ich den Flur entlanggehe, ruft sie mir nach: »Heute erst habe ich gehört, dass fünfzehn Kinder ein zweites Mal angegriffen haben.«
    »Menschen klammern sich an ihre Hoffnung«, sagte Professor Whybray, als seine Frau im Sterben lag. »Wenn möglich, vergessen

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