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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist, und vieles von dem, was an ihrer Mutter so herausragend war. Der Gedanke, dass solch starke Vaterliebe sie am Ende so schmählich im Stich gelassen hat — dass ich sie
alle
so schmählich im Stich gelassen habe ...«
    Wieder verstummte der Nordländerkönig. Als er weitersprach, war sein Ton anders, schwer und fast ohne Emotion.
    »Ich habe Euch genug gelangweilt. Danke, dass Ihr mir Eure Zeit geschenkt habt. Ich denke, ich werde jetzt ein wenig auf den Decks meines Gefängnisses auf und ab spazieren und den Möwen lauschen.«
    Der Oberste Minister von Xis hörte Olins Stiefelabsätze auf den Decksplanken, hörte die Schritte langsam leiser werden. Sonst war niemand zu hören. Hatte Olin doch nur mit der Luft geredet, sich nur an den bewölkten Frühlingshimmel gewandt? Vash schlüpfte, so leise es seine steifen Knochen erlaubten, aus dem Spind, humpelte den Niedergang hinunter und stieg dann den Aufgang dort wieder hinauf, wo Olin sich eben aufgehalten hatte. Der König war wirklich gegangen — Vash sah seinen Scheitel am anderen Ende des Schiffs, wo er unter den wachsamen Blicken mehrerer Bewaffneter an der Reling lehnte —, und vom Autarchen, von Panhyssir, Dumin Hauyuz oder sonst irgendeinem vernunftbegabten Wesen war nichts zu entdecken. Das einzige lebende Etwas an Deck war der schwachsinnige Scotarch Prusus, der mit zuckenden Händen, wackelndem Kopf und einem Speichelfaden am Kinn in seinem Stuhl hing. Kurz schien ihn Prusus der Krüppel anzusehen, doch als Vash auf ihn zuging, rollten die Augen des Scotarchen haltlos weg, als wäre der Oberste Minister jäh aus seinem Gesichtsfeld verschwunden.
    Pinnimon Vash blieb vor der zitternden Gestalt stehen, musterte sie von Kopf bis Fuß und verlor sich in Gedanken ...
    Die Welt hat sich aus ihrer Vertäuung losgerissen,
dachte Vash.
Ja, die Welt ist aus bekannten Gewässern hinausgedriftet. Wo sie jetzt hintreibt, ahnen nur Götter und Irre.

    »Etwas verfolgt uns«, flüsterte Barrick.
    »Ihr sagt es.« Wenn der Rabe leise sprach, war er kaum zu verstehen — ein einziges rauhes Kratzen und Pfeifen. Er flatterte auf einen Stein herab, krallte sich in den Moosbewuchs, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und plusterte sich. »Seidenwickler«, krächzte er. »Hat sie von oben gesehen, unsereins, in den Bäumen. Stücker fünf, sechs, schätzt unsereins.«
    »Sollen sie doch kommen.« Barrick fürchtete die Seidenwickler, aber er war sich auch seltsam sicher, dass er nicht so weit gelangt war und so vieles überlebt hatte, nur um jetzt von diesen bleichen, fadenumsponnenen Monstrositäten umgebracht zu werden. Er fühlte sich stark — auf eine komische Art stark, so als erfüllte ihn schäumende Kraft, wie die Bläschen im Bier. Ihm war danach, laut zu lachen.
    »Sollen sie doch kommen? Töten werden sie uns alle beide — oder schlimmer, uns in ihre Hängenester schleppen und ihre Eier in unsren Bäuchen ablegen.« Der Rabe flatterte auf einen Ast ein paar Schritte weiter. »Hat schon gesehen, wie das Folgern passiert ist, unsereins. Waren noch nicht mal tot, als die Jungen geschlüpft sind ...«
    »Mit mir werden sie das nicht machen. Dazu lasse ich es nicht kommen.«
    Der schwarze Vogel erschauerte, plusterte sich dann wieder auf. »Seid Ihr auf den Kopf gefallen, als Ihr so lang auf diesem Unglücksberg rumgeklettert seid? Nimmer derselbe seither, Ihr.«
    Barrick musste lächeln. Das stimmte, wenn er auch nicht genau wusste inwiefern. Er fühlte sich wirklich anders — stärker, selbstsicherer ... besser. Selbst der ständige dumpfe Schmerz in seinem verkrüppelten Arm, jener Schmerz, der ihn fast sein ganzes Leben lang geplagt hatte, war weg: Da war höchstens noch manchmal so ein Kribbeln, als ob er im Schlaf auf dem Arm gelegen hätte.
    Barrick hielt die Fackel nah an seinen Unterarm. Die Schnitte, die ihm die Schläfer zugefügt hatten, waren so gut wie weg — nur noch drei weiße Narbenlinien, die Jahre alt schienen, obwohl er doch erst vor ein, zwei Tagen vom Verfluchten Berg herabgestiegen war. Selbst seine Hand, diese grässliche Krebsschere, die er immer zu verstecken versucht hatte, sah jetzt kaum anders aus als seine Rechte. Welchen Zauber hatten diese blinden Wesen an ihm vollzogen? Es schien, als hätten sie ihm nur Gutes gebracht, doch eine lästige Stimme in seinem Kopf erinnerte ihn immer wieder daran, dass sie von einem Preis gesprochen hatten ...
    Barrick stolperte über eine Wurzel und konnte sich gerade noch fangen. Der Boden

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