Die Daemmerung
betrachtete. »Und auch dir einen guten Tag, Junge. Groß bist du geworden.« Chaven wandte sich wieder Chert zu. »Wir warten nur noch auf unseren letzten Gast ...«
Die Tür öffnete sich knarrend. Ein besorgt aussehender Novize streckte den Kopf herein. »Bruder Nickel?«, sagte er. »Ein Magister aus der Stadt ist da, und er möchte Euer Arbeitszimmer im Ordenshaus als Ratszimmer benutze!«
»Mein Arbeitszimmer?«, krächzte Nickel und eilte hinaus, um sein Territorium zu verteidigen.
»... und da scheint er auch schon zu sein«, komplettierte Chaven seinen letzten Satz. »Tja, ich fürchte, Magister Zinnober und Bruder Nickel werden wohl niemals Freunde.«
Chert zog sein altes, stumpfes Schnitzmesser aus der Tasche und gab es Flint zusammen mit einem Stück Speckstein, um den Jungen zu beschäftigen. »Mal schauen, was du daraus machen kannst«, sagte er. »Pass aber gut auf und denk ein bisschen nach, bevor du schnitzt — das ist ein schönes Stück Stein.«
Die Tür öffnete sich wieder, und herein trat Zinnober Quecksilber. Irgendwo hinter ihm erschallte Nickels durchdringende Stimme. »Der glaubt wohl, er ist schon Abt«, sagte Zinnober stirnrunzelnd. »Chert Blauquarz, schön, Euch zu sehen — und Frau Opalia! Haben Euch die Brüder gut behandelt?«
»Wir sind gerade erst angekommen«, antwortete Opalia.
»Ihr und der Junge könnt Euch gern den Straßenstaub abwaschen, Frau Meisterin«, sagte Zinnober, »aber Euren Mann muss ich Euch leider eine Weile entführen. Obwohl Ihr natürlich ebenfalls willkommen wärt. Meine Vermillona durchschaut gewöhnlich im Handumdrehen Probleme, über die der Zunftvorsteher eine Stunde grübeln müsste.«
Jetzt erschien Nickel mit der finsteren Miene eines Mannes, der nach Hause kommt und einen Fremden in seinem Lieblingssessel vorfindet. »Habt Ihr schon ohne mich angefangen? Habt Ihr ohne mich mit der Besprechung begonnen? Vergesst nicht, die Metamorphose-Bruderschaft ist hier der Gastgeber.«
»Niemand hat Euch vergessen, Bruder Nickel«, sagte Zinnober. »Schließlich werden wir ja dieses Ratstreffen in Euer Arbeitszimmer verlegen, Ihr erinnert Euch doch?«
Während der Mönch den Magister mit einem Blick bedachte, der Granit zu Pulver hätte zermalmen können, ergriff der Arzt neben ihm das Wort. »Ich fürchte, unsere Besprechung wird einen Großteil des Nachmittags in Anspruch nehmen, und Hauptmann Vansen und ich warten schon geraume Zeit. Ließe sich vielleicht eine kleine Erfrischung beschaffen?«
»Ihr könnt zur festgesetzten Zeit mit den Brüdern essen«, antwortete Nickel steif »Bis zum Abendessen sind es nur noch ein paar Stunden. Wir haben mit Magister Zinnober vereinbart, Euch wie einen der Unseren zu behandeln, solange Ihr hier zu Gast seid. Unsere Kost ist einfach, aber gesund.«
»Ja«, sagte Chaven nicht ohne Bedauern. »Davon gehe ich aus.«
»... und so fand ich mich plötzlich hier wieder — nicht mehr meilenweit jenseits der Schattengrenze, sondern mitten in Funderlingsstadt auf einem großen Spiegel.« Vansen sah gequält drein. »Nein, da war noch mehr auf der Reise zwischen dort und hier ... aber ... der Rest ist mir entglitten ... wie ein Traum ...«
»Es ist ein Geschenk, Euch bei uns zu haben«, sagte Chaven, »und ein Geschenk zu wissen, dass Prinz Barrick, als Ihr ihn das letzte Mal saht, am Leben und wohlauf war.« Doch der Arzt schien beunruhigt. Chert hatte sein Stirnrunzeln bemerkt, als Vansen erzählt hatte, wie er auf dem verspiegelten Boden im Ratssaal der Zunfthalle zwischen zwei identischen Abbildern des finsteren Erdgottes Kernios zu sich gekommen war.
»Am Leben war er gewiss«, erwiderte der Soldat. »Aber wohlauf? Da bin ich mir nicht so sicher ...«
»Ihr entschuldigt«, sagte Zinnober, »aber jetzt müsst Ihr hören, was ich zu berichten habe, denn es hat auch mit dem jungen Prinzen zu tun. Ein paar von uns dürfen ja noch hinauf in die Burg, um Arbeiten für die Tollys zu verrichten, und einer dieser Männer hat unter großem Risiko die Nachricht von Eurer Ankunft Avin Brone überbracht.«
»Dem Konnetabel«, sagte Vansen. »Geht es ihm gut?«
»Er ist nicht mehr Konnetabel«, entgegnete Zinnober, »aber alles Übrige werdet Ihr selbst herausfinden müssen. Er schickt Euch das hier, unser Mann hat es hierhergeschmuggelt.«
Vansen überflog den Brief und bewegte dabei lautlos die Lippen. »Darf ich es Euch vorlesen?«, fragte er. Zinnober nickte.
»Vansen,
es freut mich
zu
hören, dass Ihr in Sicherheit
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