Die Daemmerung
behalten. Wir können nicht so tun, als wäre alles wie früher. Ich habe die Zwielichtler selbst kennengelernt — fast so gut wie Hauptmann Vansen. Ich habe mit ihrer Fürstin Yasammez gesprochen, und sie ist so furchterregend, dass einem die Spucke wegbleibt. Nichts an ihr ist normal? Mein Junge da hat ebenjenen magischen Spiegel über die Schattengrenze hierhergebracht, von dem Vansen sagt, Prinz Barrick wolle ihn vielleicht in die große Stadt der Qar zurückbringen. Ist das normal? Ist irgendetwas davon normal?«
Außer Atem hielt er inne. Alle am Tisch starrten ihn an, die meisten verblüfft, Opalia besorgt, und Chaven in gewisser Weise amüsiert.
»Ich glaube, Hauptmann Vansen wartet immer noch auf die Beantwortung seiner Frage«, sagte Chaven. »Und ich auch. Warum glaubt Ihr, dass Funderlingsstadt in Gefahr ist? Wie könnten die Qar hierhergelangen, ohne die Mauern von Südmarksburg zu überwinden?«
»Chert Blauquarz«, rief Bruder Nickel mit wutheiserer Stimme, »Ihr habt dazu kein Recht. Wir haben Euch hier Zuflucht gewährt.«
»Dann werft mich hinaus, und ich werde mit diesen Leuten irgendwo anders hingehen und es ihnen erzählen. Denn die Qar wissen es schon, also müssen es alle anderen auch wissen. Still, Opalia — fang jetzt keinen Streit mit mir an. Irgendjemand muss den ersten Schritt machen, warum also nicht ich?« Er wandte sich Chaven zu. »Aber glaubt nicht, dass ich Eure Geheimnisse da heraushalten werde, Doktor. Ihr könnt die Geschichte selbst erzählen, wenn Euch das lieber ist, aber wenn Ihr es nicht tut, erzähle ich ihnen, was Ihr mir erzählt habt.«
Die Belustigung schwand aus Chavens Gesicht.
»Meine
Geheimnisse ...?«
»Die Sache mit dem Spiegel. Das war es doch, was mir diesen ganzen Ärger jetzt eingetragen hat, oder? All die Großwüchsigensoldaten, die in unserer Stadt umherschwärmen? Und ein anderer Spiegel war es, der meinen Jungen damals hier heruntergeführt hat — derselbe Spiegel, den Hauptmann Vansens Elbenfreund bei sich trug und den er Prinz Barrick gab. Wenn wir also über Sturmsteins Straßen reden, dann werden wir auch über Spiegel reden. Ich mache den Anfang. Hört alle zu.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag hob er an: »Vor hundert oder noch mehr Jahren, in der Zeit des zweiten Kellick, gab es einen sehr weisen Funderling namens Sturmstein ...«
Als Chert am Ende der Geschichte ankam, war Bruder Nickel in verdrossenes Schweigen verfallen, während Ferras Vansen mit offenem Mund zuhörte. »Unglaublich?«, sagte Vansen. »Ihr wollt also sagen, wir könnten diese Geheimwege benutzen und auf diese Weise sogar das Wasser unterqueren?«
»Wahrscheinlicher ist, dass die verfluchten Zwielichtler sie benutzen, um in die Südmarksburg einzufallen«, erklärte ihm Zinnober. »Und wir Funderlinge werden uns ihnen als Erste entgegenstellen müssen.«
»Ja, aber eine Straße führt doch in zwei Richtungen«, wandte Vansen ein. »Vielleicht könnten wir in der ärgsten Not so aus der Burg entkommen — wäre das tatsächlich möglich?«
»Ja, natürlich.« Chert war jetzt müde und hungrig. »Ich habe es ja selbst schon gemacht. Ich bin mit dem Halbzwielichtler Gil auf einer der alten Geheimstraßen geradewegs unter der Brennsbucht hindurchmarschiert und direkt vor dem Thron der dunklen Fürstin gelandet.«
»Also ist der gesamte Fels von Geheimwegen durchzogen — Gängen, von denen nicht einmal ich als Hauptmann der königlichen Garde etwas wusste?« Vansen schüttelte den Kopf »In dieser Burg wimmelt es nur so von Geheimnissen. Und dieser Junge da wurde mit einem magischen Spiegel über die Schattengrenze hierher geschickt, als eine Art Spion der Qar zweifellos — aber direkt vor unser aller Nase?«
»Er ist kein Spion?«, protestierte Opalia. »Er ist nur ein Kind.«
Vansen musterte Flint eindringlich. »Was er auch immer sein mag — für mich ergibt das alles immer noch keinen Sinn. Was geht hier vor? Es ist wie ein Spinnennetz, wo jeder Faden mit anderen zusammenhängt.«
»Und alle sind klebrig und gefährlich«, sagte Chaven.
Ferras Vansen wandte sich ihm zu und sah ihn scharf an. »Ah, ja, glaubt nicht, ich hätte Euch vergessen. Chert sprach von Euch und von Spiegeln — jetzt seid Ihr dran. Erzählt uns alles, was Ihr wisst. Wir können es uns nicht länger leisten, Geheimnisse voreinander zu haben.«
Der Arzt stöhnte leise und tätschelte seinen deutlich geschrumpften Bauch. »Meine Geschichte ist lang und nervenaufreibend — für mich
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