Die Daemmerung
Tageszeit schon ziemlich viel getrunken. »Oder etwa nicht? Haben wir Euch als Olins Tochter nicht mit offenen Armen empfangen?«
»O doch, Majestät, und ich bin Euch sehr dankbar ...«
»Und alles, worum ich Euch bat, war, nicht die Intrigen Eures ... belasteten Heimatreiches in unser Haus zu tragen.« Der König runzelte die Stirn, aber es schien ebenso sehr Verwirrung wie Ärger. Briony schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht war es ja ein Missverständnis — etwas, das sie erklären konnte. Sie würde reumütig sein, dankbar. Sie würde sich für ihren jugendlichen Eigensinn entschuldigen, brav hersagen, was immer der König hören wollte, so wie Feival, wenn er in einem Monolog die mädchenhafte Unschuld gab, und dann könnte sie wieder in ihre Gemächer gehen und schlafen, was sie dringend nötig hatte ...
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Es war Feival, der so leise in die große Kapelle geschlüpft war, dass Briony ihn gar nicht gehört hatte. Sie war froh, wenigstens ein vertrautes Gesicht zu sehen.
»Ihr wart äußerst großzügig zu ihr, mein Gebieter«, sagte Ananka. War Briony denn die Einzige, die das Gift von der Zunge dieser Frau triefen hörte? Was nützte Schönheit — reife Schönheit zwar, aber dennoch Schönheit —, wenn sie die Seele einer Natter bemäntelte?
Bitte, barmherzige Zoria,
betete Briony,
hilf mir, mich
zu
beherrschen. Hilf mir, meinen Stolz hinunterzuschlucken, der mich schon so oft in Schwierigkeiten gebracht hat.
»Wenn dem also so ist«, sagte Enander plötzlich, »warum habt Ihr dann meine Gastfreundschaft so übel gedankt und Verrat an mir geübt, Briony Eddon? Warum? Gewöhnliche Intrigen kann ich ja noch verstehen, aber
das —
das war ein Stoß mitten in mein Herz?« Der Schmerz in seiner Stimme war echt.
Verrat?
Eisige Angst erfasste Briony. Sie blickte zu Enander auf, aber der König sah sie nicht an. »Majestät, ich ...« Es fiel ihr schwer, Worte zu formen. »Was soll ich getan haben? Darf ich das erfahren? Ich schwöre, ich habe nie ...«
»Die Liste Eurer Verbrechen ist lang, Mädchen.« Der Kragen des aufwändig bestickten Kleids gab Ananka etwas von einer xandischen Hutschlange. »Wenn Ihr gemeiner Herkunft wärt, würde Euch jedes einzelne davon ins Haus der Tränen bringen. Lord Jenkin, erzählt dem König noch einmal, was sie Euch angetan hat.«
Jenkin Krey, der unter einem Auge noch immer einen feinen rötlichblauen Schatten hatte, räusperte sich. »Wenige Tage nach meiner Ankunft als offizieller Gesandter an Eurem kultivierten Hof, König Enander, lauerten mir auf einer öffentlichen Straße ein paar üble Kerle auf und schlugen mich fast tot. Als ich in einer Lache meines eigenen Bluts am Boden lag, beugte sich einer der Schurken über mich und beschied mich: ›So ergeht es denen, die sich gegen die Eddons stellen.‹«
»Das ist gelogen?«, rief Briony. Und das war es auch, jedenfalls teilweise. Nachdem sie zu der Überzeugung gelangt war, dass Krey beim Versuch, sie zu töten, ihre kleine Dienerin vergiftet hatte, hatte sie Dawet angewiesen, ein paar rohe Kerle dafür zu dingen, dass sie Krey eine Kostprobe seiner eigenen Brutalität verabreichten und ihm dann erklärten, wenn er noch einmal irgendetwas Hinterhältiges versuche, werde ihm Schlimmeres widerfahren. Der Name Eddon konnte nicht gefallen sein, weil Dawet diesen Männern nie auch nur andeutungsweise verraten hätte, in wessen Auftrag sie wirklich handelten.
»Ich weiß, was ich gehört habe«, sagte Krey und gab sich alle Mühe, leidend und edel auszusehen. »Ich dachte, ich läge im Sterben. Ich dachte, es wären die letzten Worte, die ich auf dieser Welt hörte.«
»Ihr seid genauso ein Lügner wie Euer Herr.« Briony zwang sich durchzuatmen. »Selbst wenn ich hinter einer solchen Abscheulichkeit steckte, würde ich diese Kerle dann meinen Namen nennen lassen?« Allein schon Kreys käsiges, selbstgefälliges Gesicht fachte die Wut in ihr an. »Wenn ich mich für den Verrat rächen würde, den Euer Herr an meiner Familie begangen hat, wäre der Name Eddon in der Tat das Letzte, was Ihr hören würdet, denn danach würdet Ihr nicht mehr aufstehen?« Enander und die anderen starrten sie an, merkte Briony. Sie schluckte. »Ich bin dessen, was mir vorgeworfen wird, nicht schuldig, König Enander. Wollt Ihr das Wort dieses ... Emporkömmlings über das der Tochter eines Brudermonarchen stellen?«
Der König verengte die Augen. »Wenn dies die einzige Anschuldigung und
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