Die Daemmerung
Eurem eigenen Hof vor sich geht?«
Viele der anderen Anwesenden reagierten hörbar erschrocken auf Brionys Worte, aber der König sah nur verdutzt drein. »Jellon? Was soll der Unsinn? Habt Ihr vergessen, in welchem Land Ihr seid?«
»Jawohl, Jellon? Wo Hesper meinen Vater an den hierosolinischen Usurpator Ludis Drakava verkauft hat! Und jetzt ist diese Frau von dort gekommen, von ihrem Liebhaber im Verrat geschult, um mein Königreich zu Fall zu bringen — und Eures womöglich auch. Seht Ihr denn nicht? Aus Jellon kommt nicht als Lügen und Verrat?«
»Ihr seid nicht recht bei Sinnen, junges Fräulein.« Enander sah alt und müde aus. »Jellon ist ebenfalls unser Verbündeter und gibt der Welt vieles. Die Jellonier sind nämlich sehr gut im Weben.«
Briony starrte ihn an. Das Denken des Königs war nicht nur langsam, es war hoffnungslos konfus — jedes weitere Argumentieren war sinnlos. Sie rang darum, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen — zumindest würde diese Kuh Ananka sie nicht weinen sehen. »Ihr tut mir unrecht«, sagte sie nur, drehte sich dann um und ging aus der Kapelle, wobei sie betete, dass ihre Beine sie tragen würden. Garden setzten sich stumm an ihre Seite. Sie würde nirgends mehr allein hingehen, so viel war klar.
Draußen im Thronsaal trat der Ratgeber des Königs Erasmias Jino auf sie zu. »Ich bitte um Verzeihung, Prinzessin«, sagte er leise. »Ich wusste nicht, dass so etwas geplant war.«
»Ich auch nicht. Was glaubt Ihr, wer von uns beiden überraschter war?« Sie ließ sich von den Garden abführen.
Schwester Utta brachte sich einfach nicht dazu aufzustehen, obwohl der Aufruhr, der in ihrem Denken tobte, ein körperliches Ventil forderte. Sie wollte rennen, so schnell und so weit sie konnte, um diesem unmöglichen Gerede zu entkommen, oder aber Gegenstände scheppernd durchs Zimmer werfen, damit der Krach und das Chaos alles auslöschten, was ihr da gerade erzählt worden war. Aber es ging immer noch weiter — die Geschichte, wie die Sterblichen aus Südmark die königliche Familie der Zwielichtler vernichtet hatten.
»Das kann nicht sein.« Sie sah Kayyin flehend an. »Ihr tut das nur, weil Eure dunkle Herrin uns quälen will. Solch schreckliche Geschichten — gebt zu, dass es alles Lügen sind!«
»Natürlich sind es Lügen«, sagte Merolanna ärgerlich. Sie konnte den Zwielichtler nicht mehr ansehen. »Boshafte Lügen, erzählt von diesem ... verderbten Bastardwesen, um uns Angst zu machen, um unseren Glauben zu zerstören.«
Kayyin hob die Hände — eine Geste, die wie Resignation oder Kapitulation aussah. »Mit Glauben hat das nichts zu tun, Herzogin. Meine Herrin Yasammez hat mir befohlen, Euch die Wahrheit zu sagen, und das habe ich getan. Ich verdanke ihr nichts außer der Erwartung meines Todes, also seid versichert, dass ich nicht für sie lügen würde, schon gar nicht, was dies hier betrifft, die größte Tragödie meines Volkes.« Sein Gesichtsausdruck wurde deutlich kälter. »Und jetzt erinnere ich mich wieder an einiges, worin ich
keiner
von euch bin, auch wenn ich noch so viele Jahre das Imitat gespielt habe. Mein Volk läuft nicht vor der Wahrheit davon. Sie ist der einzige Grund, warum wir in dieser Welt überlebt haben ... der Welt, die Euresgleichen geschaffen haben.«
Er wandte sich ab und ging hinaus. Kurz hörte Utta noch seine leichten Schritte auf der Treppe, dann war es wieder still im Haus.
»Seht Ihr?« Da war etwas Triumphierendes in Merolannas Stimme — etwas Fiebriges, dachte Utta. »Er weiß, dass wir ihn durchschaut haben. Dass er geht, ist doch praktisch ein Geständnis?«
Nach so vielen Tagen gemeinsamer Gefangenschaft hatte Utta weder Kraft noch Lust zu streiten. Wenn Merolanna nun mal solche Dinge glauben musste, um sich ihren Lebenswillen zu bewahren — wie kam Utta dazu, ihr diesen Glauben zu nehmen? Dennoch konnte sie nicht gänzlich schweigen.
»So ungern ich es zugebe, vieles von dem, was er gesagt hat ... nun ja, es scheint im Einklang mit der Geschichte meines Ordens zu stehen ...«, sagte sie vorsichtig.
»Aber gewiss doch?« Merolanna räumte energisch ein Zimmer auf, das kein Aufräumen nötig hatte. »Versteht Ihr denn nicht? Das ist ja das Raffinierte daran! Sie lügen so, dass es plausibel klingt — bis man darüber nachdenkt, was sie da eigentlich sagen. O nein, es waren nicht diese Monster, die aus ihren Schattenlanden kamen und
uns
angegriffen haben? Wir götterfürchtigen Menschen der Markenlande
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