Die Daemmerung
Sicherheit
zu
sagen.
Eine Abhandlung über die Elbenvölker Eions und Xands
Briony war verblüfft über die Größe des syanesischen Lagers. Sie hatte ein paar Berittene erwartet, vielleicht eine Fünfzigschaft Soldaten, die neben der Königlichen Straße biwakierten. Doch nachdem ihre Häscher mit ihr auf die große Straße zurückgekehrt und etwa eine Stunde im Regen südwärts geritten waren, erstreckte sich jetzt vor ihnen eine matschige Wiese, voll mit Zelten — es mussten hunderte sein, ein richtiges Heerlager, wimmelnd von Fußsoldaten, berittenen Adligen und deren Dienstleuten. Als sich die Köpfe ihr zuwandten — die Neugier selbst auf den strengsten Gesichtern unverkennbar —, krampfte sich ihr Magen zusammen. Würden sie sie hinrichten? Doch sicher nicht — nicht einfach nur dafür, dass sie davongelaufen war? Aber sie sah wieder Anankas kalten Blick vor sich. Eins hatte Briony früh gelernt: Als Königstochter musste man darauf gefasst sein, dass einen Leute hassten, selbst wenn sie einem nie begegnet waren.
»Denk dran, in ihren Augen bist du kein realer Mensch«,
hatte ihr Vater ihr oft erklärt. »Du
bist ein Spiegel, in dem die Leute — und besonders deine eigenen Untertanen — das sehen, was sie sehen wollen. Wenn sie zufrieden sind, werden sie dich in diesem Licht sehen. Wenn sie unzufrieden sind, sehen sie dich als die Ursache ihrer Drangsal. Und wenn ein Dämon in ihnen ist, sehen sie dich als etwas, das es
zu
vernichten gilt.«
Wenn die Götter nur in Träumen auf Menschen einwirkten, wie Lisiya gesagt hatte, konnten sie dann in diesen Träumen ebenso Lüge säen wie Wahrheit? Hatte ein böser Gott Ananka und den König von Syan gegen sie aufgehetzt?
Hör dich an!,
schalt sie sich selbst.
Ist es nicht schlimm genug, dass du stolz darauf bist, wie viele Soldaten ausgesandt wurden, dich
zu
ergreifen und nach Tessis zurückzuschleifen? Jetzt schmeichelst du dir auch noch, die Götter selbst gegen dich
zu
haben. Dummes, hochmütiges Ding!
Doch was auch geschah, niemandem würde die Genugtuung zuteilwerden, eine Eddon weinen und um Gnade flehen zu sehen. Nicht mal, wenn es aufs Schafott ging.
Als sie ein großes Rundzelt in der Mitte des Lagers erreicht hatten, saß der Hauptmann ab und half ihr wortlos und nicht gerade ritterlich aus dem Sattel. Jetzt, da sie das Emblem auf seinem Wappenrock aus der Nähe sah, erkannte sie, dass der weiße Hund knochendürr war: Die Rippen zeichneten sich so deutlich ab, dass er aussah wie ein Haarkamm. Sie schauderte.
Der Hauptmann führte sie an den Wachen vorbei in das Rundzelt. Drinnen hieß er sie stehenbleiben, indem er ihren Arm schmerzhaft quetschte. Mitten im Zelt standen mehrere Männer, allesamt gepanzert und bewaffnet, über ein Bett gebeugt, auf dem Karten ausgebreitet waren. Niemand schien ihr Eintreten bemerkt zu haben.
»Verzeihung, Hoheit ...« Der Hauptmann war offenbar nicht gewillt, noch länger darauf zu warten, dass er seine Erfolgsmeldung loswerden und sein Lob einheimsen konnte. »Ich habe sie gefunden — die Südmärkerprinzessin — und sie gefangen genommen.«
Der größte der Offiziere drehte sich um, und seine Augen weiteten sich. Es war Eneas, der Sohn des syanesischen Königs. »Briony Prinzessin?« Er fuhr den Hauptmann an: »Ihr habt
was?
Was habt Ihr gesagt, Linas — sie
gefangen genommen?«
»Wie Ihr befohlen habt, Hoheit. Ich habe sie gefunden und ergriffen.« Doch die eben noch so feste und stolze Stimme des Hauptmanns klang jetzt unsicher. »Nun ja, ich habe sie hergebracht ... zu Euch gebracht ...«
Eneas kam mit unwirscher Miene heran. »Dummkopf Wann habe ich je von ›Gefangennahme‹ gesprochen? Ich habe gesagt, ihr sollt sie
finden.«
Er streckte die Hände aus und fiel dann zu Brionys Verblüffung vor ihr aufs Knie. »Ich bitte Euch inständig um Verzeihung, Prinzessin. Ich habe meine Soldaten verwirrt, und das ist allein meine Schuld.« Er wandte sich wieder an den Mann, der sie hereingebracht hatte. »Seid froh, dass Ihr sie nicht in Eisen gelegt habt, Hauptmann Linas, sonst hätte ich Euch auspeitschen lassen. Sie ist ein Edelfräulein, und wir haben sie ohnehin schon schrecklich behandelt.«
»Ich ... ich bitte um Verzeihung, Prinzessin«, stammelte der Hauptmann. »Ich wusste nicht ... ich habe Euch unrecht getan ...«
Sie mochte den Mann nicht, aber Peitschenhiebe sollte er doch nicht beziehen. Jedenfalls nicht zu viele. »Natürlich, ich nehme Eure Entschuldigung an.«
»Geht jetzt und sagt
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