Die Daemmerung
einzugehen!« Sie wandte sich an den riesigen Ettin. »Das Geschwätz ist sinnlos, Hammerfuß. Geh deinem Vergnügen nach. Töte sie langsam oder schnell, wie es dir beliebt.«
Antimon schrie erschrocken auf, doch Vansen tat einen Schritt auf sie zu und rief: »Wartet?« Augenblicklich waren ein Dutzend QarBogen gespannt, die Pfeile auf ihn gerichtet. Er blieb stehen, weil ihm klar wurde, dass er leicht tot sein konnte, ehe er gesagt hatte, was er sagen musste. »Ihr spracht von einem Pakt, Fürstin Yasammez. Ich weiß von einem — dem Pakt des Spiegelglases!«
Sie sah ihn mit unergründlicher Miene an. »Was sollte mich das interessieren? Er gilt nicht mehr — der Sohn des Ersten Steins ist mit seiner Taktik gescheitert. Nichts — auch nicht die Tatsache, dass dieser südländische Zauberling mit allen seinen Kriegern auf dem Weg hierher ist — kann mich jetzt noch daran hindern, dieses Verräterhaus bis auf die Grundfesten niederzubrennen.«
»Aber der Pakt des Spiegelglases ist noch nicht gescheitert!«
Es hätte eine Gaukelei der Schatten und der flackernden Fackeln sein können, aber einen Moment lang glaubte Vansen zu sehen, wie die dunkle Fürstin größer wurde, wie ihre Silhouette sich streckte und so stachlig wurde wie eine schwarze Distel. »Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu reden?«, rief sie, und er fühlte die Worte als unerträglichen Hall in seinem Kopf. Er fiel auf die Knie und hielt sich den Schädel, heulte fast vor Schmerz.
»Mein Vater ist tot!
Kupilas der Handfertige ist tot? Trotz Gefangenschaft, trotz Einsamkeit und Pein, wie Ihr sie Euch nicht vorstellen könnt, hat er die Welt Jahrhundert um Jahrhundert bewahrt ... aber jetzt ist er tot. Glaubt Ihr, ich wechsle noch irgendwelche Worte mit Kreaturen wie Euch — den Mördern meiner Familie? Soll er doch kommen, dieser sterbliche Autarch! Er wird hier nichts vorfinden außer Ruinen. Um meines Vaters willen und um all der Unseren willen, deren Leben ihr Sterblichen vernichtet habt, wird hier kein lebendes Wesen davonkommen, und die Götter werden für immer in der Verbannung weiterschlafen?«
Doch als sie sich wieder abwandte, mühte Vansen sich auf die Knie und streckte die Arme nach ihr aus. Sein Schädel pochte wild, und Blut rann ihm aus der Nase in den Mund, sodass er den Salzgeschmack wahrnahm.
»Tötet mich, wenn Ihr wollt, Fürstin Yasammez«, rief er, »aber hört mich zuerst an? Ich kannte Gyir Sturmlicht. Wir waren zusammen jenseits der Schattengrenze unterwegs. Er war ... er war mein Freund.«
Sie fuhr herum und machte zwei große Schritte auf ihn zu, die Hand am Griff ihres Schwerts. »Gyir ist tot.« Die Worte waren wie eisige Hagelschloßen. »Und er war keines Sterblichen Freund. Das ist
unmöglich.«
»Von seinem Tod zu hören, betrübt mich mehr, als Ihr wisst. Ich war mit ihm dort in Große Tiefen, in seiner letzten Stunde, und wenn wir nicht Freunde waren, dann doch gewiss Bundesgenossen.«
Die Reptilienaugen fixierten ihn. »Das bezweifle ich. Doch was spielt das schon für eine Rolle, Männlein? Er hat mich im Stich gelassen. Gyir ist tot, und gleich werdet Ihr es auch sein.«
»Ihr könntet Euch täuschen, Fürstin. Ich glaube, es besteht immer noch eine Chance, dass Gyirs Mission erfüllt wird, auch wenn er tot ist, und wenn das geschieht, dann wegen eines Geschenks, das Ihr dem König der Qar gesandt habt — eines Geschenks namens Barrick Eddon, Prinz von Südmark.«
Ihre Hand schloss sich fester um den Schwertgriff. Sie war kurz davor, begriff Vansen, ihn mit einem Streich zu enthaupten. Er beugte den Nacken und ergab sich in alles, was jetzt passieren würde. »Gyir hat Euch nicht im Stich gelassen, Fürstin, und wenn er gestorben ist, dann in Erfüllung Eures Auftrags. Der Pakt könnte sich immer noch bewähren.«
Er wartete auf den Schwerthieb, aber der kam nicht.
»Ihr werdet mir alles sagen, was Ihr über Gyir Sturmlicht wisst«, sagte sie schließlich. »So lange zumindest werdet Ihr am Leben bleiben.«
37
Unter einem knochenweißen Mond
Das
Buch der Trauer
ist wohl nicht die einzige schriftliche Aufzeichnung der Qar. Angeblich existiert auch noch eine Sammlung von Orakelsprüchen mit dem Titel
Knochenfall,
die ebenfalls seit frühesten Zeiten geführt wird. Beide Werke gelten als Teile eines umfassenderen Ganzen namens ›Das Feuer in der Leere‹, aber was das ist — ein Buch, eine Geschichte oder vielleicht auch ein Gesang —, weiß kein Gelehrter; nicht einmal Ximander, mit
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