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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihn, bis der Mond hinter dem Hauptsegel verschwunden war. Dann atmete sie tief ein und ganz langsam aus, drehte sich auf alle viere und kroch zu der dunklen Gestalt, die am Mast lehnte.
    »Akar«,
flüsterte sie das xixische Wort für ›Herr‹.
»Akar
Vo, hört Ihr mich?« Sie streckte die Hand aus und schüttelte ihn vorsichtig. Sein Kopf rollte haltlos umher. Sein Mund öffnete sich leicht, als ob er etwas sagen wollte, was sie erschrocken zurückzucken ließ, doch seine Augen blieben geschlossen, und er gab keinen Laut von sich.
    Sie schüttelte ihn noch einmal sachte und fuhr dabei vorsichtig mit der Hand in seinen Mantel. Sie tastete, bis sie sein Geldsäckel fand, und zog es heraus. Es war schwerer, als sie erwartet hatte, bestand aus reichlich geöltem Leder. Sie steckte die harten Brotbrocken, die sie aufgespart hatte, hinein und erstarrte, als Vo sich regte und vor sich hin murmelte. Als er wieder erschlafft war, band sie den Beutel schnell an das Stück Strick, das sie als Gürtel über ihrem zerschlissenen Dienstmädchenkleid aus Hierosol trug. Ihr Herz schlug furchtbar schnell. Würde sie es wirklich wagen?
    Natürlich. Es war die einzige Möglichkeit. Jetzt, da Spatz weg war, gehörte ihr Leben ihr allein. Wenn sie beim Versuch der Flucht starb — nun ja, das wäre mit Sicherheit immer noch besser als das, was sie erwartete, wenn sie dem Autarchen wieder übergeben würde.
    Sie griff noch einmal in Vos Mantel, fand das Fläschchen, packte es vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger und zog es heraus. Kurz zögerte sie. Wenn sie es selbst austränke, wären all ihre Probleme vorbei — jedenfalls die, mit denen Lebende zu kämpfen hatten. Das Dunkel in dem kleinen Glasbehälter rief sie — ein Schlaf, aus dem sie nie mehr erwachen würde, so verlockend ... Doch die Erinnerung an den jungen Mann namens Barrick, ihren Traumfreund, regte sich hartnäckig in ihrem Kopf. Hatte er sie wirklich im Stich gelassen? Oder war ihm etwas passiert — brauchte er ihre Hilfe? Wenn sie ihrem Leben jetzt ein Ende setzte, würde sie es nie erfahren.
    Entschlossen zog Qinnitan den Glasstöpsel, richtete ein Stoßgebet an die goldenen Bienen des Nushash, denen sie so lange gedient hatte, und drehte dann das Fläschchen über Vos Mund um.
    Fast hätte die Dickflüssigkeit des Inhalts alles durchkreuzt. Das Elixier rann nicht heraus wie Wasser, sondern floss so zäh wie Granatapfelsirup: Es hatte sich noch kaum ein Tropfen gelöst, als Vo sich heftig regte. Dennoch schaffte sie es, ihm wenigstens eine teelöffelgroße Menge in den Rachen zu kippen, ehe er zu sich kam, sie wegstieß, hustete und spuckte. Er schlug ihr das Fläschchen aus der Hand, und es schlidderte übers Deck, aber das war Qinnitan egal: Sie hatte ihm bestimmt ein paar Dutzend Mal so viel verabreicht, wie er normalerweise nahm — das musste doch wohl reichen, um ihn zu töten.
    Sie konnte natürlich nicht warten, bis sich erwies, ob sie recht hatte. Vilas und seine dumpfen, rohen Söhne waren ja auf dem Boot; der ältere der beiden Burschen hatte Ruderwache, während sein Bruder und sein Vater schliefen. Sie stürzte an die niedrige Reling auf der Landseite und warf sich über Bord. Sobald der erste Schock des kalten Wassers nachließ, tauchte sie auf und schwamm los, auf die ferne, dunkle Küste zu. Als sie ein Stück weit gekommen war, drehte sie sich um und blickte zum Boot zurück. Sie sah im Mondlicht etwas Dunkles über Bord gehen und mit einer hellen Spritzfontäne ins Wasser klatschen. Ihr stockte das Herz. War Vo ihr hinterhergesprungen? Konnte es sein, dass ihn nicht mal ein Mundvoll dieses Gifts getötet hatte?
    Vielleicht ist er ja gestolpert und über Bord gefallen,
sagte sie sich und schwamm schnell weiter in Richtung Ufer.
Vielleicht ist er schon ertrunken.
    Nicht mehr als einen guten Steinwurf vom Boot entfernt, war Qinnitan bereits durchgefroren und erschöpft — manchmal hatte sie sogar das Gefühl, das Wasser dränge sie von der Küste weg, als ob Efiyal, der böse alte Meeresgott selbst, gegen sie wäre.
    Ich werde nicht ...
dachte sie, obwohl sie nicht genau wusste, wem sie widersprach, und ihr das Denken schwerfiel. Dem Tod? Den Göttern? Daikonas Vo? Ich werde nicht ...!
    Sie kämpfte sich weiter, platschend und spritzend, sodass man sie vom Boot aus mit Sicherheit sehen konnte, aber das Boot kam nicht hinter ihr her. Hieß das, Vo war tot? Oder waren sie sich einfach nur sicher, dass sie sie ohnehin nicht mehr lebend aus dem Wasser

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