Die Daemmerung
Räuber, die Hauptmann Linas und seine Männer getötet haben, waren keineswegs die einzigen, die diese Lande unsicher machen, und außerdem gibt es viele Leute, die weder meinen Vater noch Syan mögen, selbst innerhalb unserer eigenen Grenzen.«
»Aber einen Trupp dieser Größe wird doch wohl niemand angreife!
»Da habt Ihr sicher recht. Was aber nicht heißt, dass nicht jemand aus dem Hinterhalt mit einem Bogen oder einer Muskete auf uns schießt.« Er reichte ihr einen Helm mit einem Nackenschutz von gleicher Machart wie das Kettenhemd. »Und deshalb werdet Ihr auch das hier aufsetzen, Prinzessin.«
»Darf ich wenigstens noch damit warten, bis wir das Zelt verlassen haben?«
Jetzt lächelte er endlich. Briony musste zugeben, dass Eneas wirklich sehr ansehnlich war, mit seinem großflächigen, offenen Gesicht und dem kräftigen Kinn. »Gewiss, Mylady. Aber dann dürft Ihr ihn nicht mehr abnehmen, bis wir in Südmark sind. Nein, nicht einmal dort.«
Der Prinz hatte seinen Männern befohlen, sich aufbruchbereit zu machen, während er, Briony und seine Leibwache dorthin ritten, wo sich die Schauspieler noch immer im Gewahrsam syanesischer Soldaten befanden.
»Wieder werden wir durch Euch vor einem höchst unerfreulichen Schicksal bewahrt, Prinzessin«, sagte Finn Teodorus.
»Einem Schicksal, das Euch ohne mich nie gedroht hätte«, sagte sie. »Ich werde tun, was ich kann, um es an euch allen gutzumachen. Wie geht es den anderen?«
»Ihr könnt's Euch ja denken«, antwortete Finn. »Sie trauern natürlich um Dowan Birk. Wir hatten ihn alle gern, aber ich glaube, Estir hat er mehr bedeutet, als uns übrigen klar war.«
Briony seufzte. »Armer Dowan. Er war immer so freundlich zu mir. Wenn ich je auf den Thron komme, werde ich ein Theater bauen lassen und nach ihm benennen.«
»Das wäre sehr gütig, aber ich würde es an Eurer Stelle nicht erwähnen, solange die Wunde noch so frisch ist.« Finn schüttelte den Kopf »Ich kann Euch gar nicht sagen, wie mir zumute war, als sie Euch davonführten, Prinzessin — und jetzt seid Ihr wieder hier? Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Eure Abenteuer etwas von einem Epos haben, und dabei habe ich vermutlich noch nicht einmal die Hälfte gehört.«
»Teodorus mag Euch ja in den Himmel heben«, sagte eine Stimme hinter ihr, »aber erwartet das nicht von mir.«
Briony drehte sich um und sah Estir Makswell wütend herstarren; sie hatte rotgeweinte Augen und wirres Haar.
»Estir, es tut mir so leid ...«
»Ach ja?« Die Frau schien in sich zusammengesunken, aber gleichzeitig gespannt wie ein zum Sprung geducktes Tier. »Tatsächlich? Warum habt Ihr dann, als Ihr zurückgekommen seid, nicht als Erstes Dowan die letzte Ehre erwiesen?«
»Ich wollte ja ...«
»Natürlich.« Estir packte Briony so fest am Arm, dass es sich aggressiv anfühlte. »Dann kommt. Kommt und seht ihn Euch an.«
»Estir«, sagte Finn Teodorus warnend.
»Nein, ich gehe hin. Natürlich gehe ich hin.«
Sie ließ sich von der Frau über den Weg und die paar Schritte zu der Stelle am Waldrand zerren, wo sie von den Wegelagerern überfallen worden waren. Der Leichnam des Riesen lag auf dem Boden, Gesicht und Brust mit dem bunten Kostümumhang bedeckt, den er als Gott Volios getragen hatte.
»Da«, sagte Estir. »Das ist alles, was mir von ihm geblieben ist.« Sie zog den Umhang zurück und enthüllte Dowans langes Gesicht, das so bleich war wie ein Fischbauch. Sie hatte ihm die Augen zugedrückt und das Kinn mit einem Stoffstreifen hochgebunden, doch entgegen den tröstenden Worten, die die Leute immer sagten, sah der sanfte Riese überhaupt nicht aus, als schliefe er. Er sah jetzt einfach nur aus wie ein Ding, kaputt und unnütz.
Wie der arme Kendrick,
dachte sie.
Eben noch hatte das Blut seine Wangen rosig gefärbt, und im nächsten Moment war es nur noch eine trocknende Pfütze auf dem Fußboden. Wir sind nichts mehr, wenn das Leben aus uns entwichen ist. Unser Körper ist nichts.
»Ihr
weint?«,
herrschte Estir sie an. »Ihr weint um meinen Dowan? Ihr habt wahrhaftig Nerven, Prinzessin hin oder her. Ihr habt die Stirn der Götter, wenn Ihr um ihn weinen könnt, nachdem Ihr das doch selbst über ihn gebracht habt.« Sie zeigte auf das schrecklich leere Gesicht des Riesen. »Schaut ihn an? Schaut ihn Euch an! Er war alles, was ich hatte! Wir wollten heiraten, sobald wir ein bisschen Geld beisammen hätten? Und jetzt ist er ... ist er nur noch ...« Sie schwankte und sank dann
Weitere Kostenlose Bücher