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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fingerschützer leuchteten wie Feuer in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. »Aber das sind natürlich die einfältigsten der Einfältigen. Intelligentere Männer — Geistliche und andere Weise, Führer des gemeinen Volks,
die
werden sagen: ›Natürlich wird Melarkh wohl weder auf einem Falken bis in den Himmel geflogen sein, noch den Samen des Gebärens zurückgebracht haben, vielmehr geht es in der Geschichte darum, wie die Geheimnisse der Götter von tapferen Männern entdeckt werden müssen, wie Sterbliche ihr Schicksal wenden können.‹ Und die wildesten Denker, die einsamsten Philosophen, die nicht viel auf die Meinung anderer geben, könnten sogar denken: ›Da kein Falke groß genug ist, um einen ausgewachsenen Mann zu tragen, ist vielleicht die ganze Geschichte von Melarkhs Himmelsflug nicht wahr. Und wenn diese Geschichte nicht wahr ist, dann sind vielleicht auch andere Geschichten nicht wahr. Und wenn die Geschichten nicht wahr sind, dann ist vielleicht alles, was man uns erzählt, schlicht gelogen. Vielleicht gibt es die Götter gar nicht!‹ Und vor solcher Blasphemie schrecken selbst die Weisesten zurück, denn sie wissen, dass solche Gedanken den Himmel selbst stürzen und die Menschen allein in der Leere zurücklassen könnten.«
    Der Ton des Autarchen wurde jetzt anders, weicher, intimer, und Vash, der seine alten Ohren verfluchte, musste sich so weit vorbeugen, dass sein ohnehin schon strapazierter Rücken ernstlich zu schmerzen begann. Zudem hatte er schreckliche Angst, die Reling könnte unter seinem Gewicht nachgeben.
    »Aber hier ist meine Antwort auf sie alle«, fuhr der Autarch fort. »Die Dummen, die Neugierigen und die Tapferen — sie alle haben recht? Und sie alle haben gleichermaßen unrecht. Nur ich kenne die Wahrheit. Ich allein unter allem und allen Lebenden bin in der Lage, die Götter meinem Willen zu unterwerfen.«
    »Ich ... ich verstehe Euch nicht.« Olin klang jetzt schwach und krank.
    Vash atmete tief ein. Das war ein Grad von Wahnsinn, der selbst ihm neu war, und er hatte schon viele höchst absonderliche und wilde Gedankengänge des Autarchen mitbekommen.
    »Oh, ich glaube, Ihr versteht mich sehr wohl. Zumindest erfasst Ihr die ungefähre Richtung dessen, was ich sage — weil Ihr selbst schon Ähnliches gedacht habt. Gebt es zu, Olin, Ihr seid überrascht, Derartiges zu hören — erhabenere Gedanken zwar als die Euren, aber ansonsten nicht
so
anders —, und das aus dem Munde von jemandem, den Ihr für gänzlich anders als Euch selbst haltet. Nun, Ihr habt recht — ich
bin
anders. Denn wo es Euch in tiefster Verzweiflung geschah, dass Ihr diese Geheimnisse entdecktet und diese Gedanken dachtet, weil Ihr herauszufinden suchtet, warum Ihr und Eure Blutslinie diesen Fluch tragen, da bin ich vorgetreten und habe gesagt: ›Auf diese Geheimnisse bin ich aus, aber ich werde nicht der Amboss, sondern der Hammer sein.
Ich
bin es, der die Form verleiht.« Der Autarch lachte fröhlich. »Ihr seht, Olin von Südmark, ich weiß, was unter Eurer Burg verborgen liegt. Ich kenne den Fluch, der seit Generationen auf Eurer Familie liegt, und ich weiß auch, woher er kommt. Doch im Gegensatz zu Euch werde ich diese Macht nach meinem eigenen Willen formen. Im Gegensatz zu Euch werde ich mich nicht vom Himmel beherrschen lassen, mit alten Geschichten und kindischen Warnungen ... Die Macht der Götter wird mein sein — und dann werde
ich
den Himmel dafür bestrafen, dass er
mich
leugnen wollte!«
    Als der Autarch sich in seine Kabine zurückgezogen hatte, blieb König Olin an der Reling stehen und starrte schweigend aufs Wasser. Pinnimon Vash, dem jetzt auch noch die Knie wehtaten, traute sich noch nicht, sich zu rühren, aus Angst, der Nordländerkönig könnte ihn bemerken. Schließlich drehte Olin sich um und ließ sich von den Wachen in seine kleine Kabine zurückführen. Kurz konnte Vash das Gesicht des fremdländischen Königs sehen: Olins Haut hatte alle Spannkraft verloren und war so gespenstisch blass, als wäre er bereits tot. Ja, der Fremde sah aus, als hätte er nicht nur seinem eigenen Tod ins Antlitz geblickt, sondern dem Ende all dessen, was er liebte.
    Pinnimon Vash, der nie auch nur ein Quentchen Mitleid auf andere vergeudet hatte, dachte an Olins blutleeres Gesicht und wünschte dem Nordländerkönig, dass die Götter ihm gnädig wären und ihn in dieser Nacht im Schlaf sterben ließen.

5

Ein Tröpfchen Seelenfrieden
    In den Jahren, da der Große Tod wütete,

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