Die Daemmerung
Kettelsmit? Du selbst. Und wer wird dich da herausholen? Kein anderer als der nämliche. Lern diese Lektion, dann bist du auf halbem Weg, ein Mann zu sein und kein dummer Junge mehr.«
Sie wandte sich ab und marschierte davon, kam aber nur wenige Schritte weit, ehe sie sich wieder umdrehte. Ihr Gesicht war jetzt etwas weicher. »Ich wünsch dir nichts Böses, Matty. Wir hatten es schon auch lustig zusammen, und du bist kein übler Kerl. Aber man kann kein Haus auf Wasser bauen. Man muss einen festen Untergrund finden.«
Und damit ließ sie ihn sitzen. Und obwohl er schon so viele Jahre der Muse der Poesie nachstellte, fiel ihm kein einziges Wort ein, das er hätte sagen können.
»Oh. Ihr seid's.« Ihre dunklen Augen schienen ihr halbes Gesicht auszufüllen. Elan M'Cory war erschreckend dünn — sie hatte keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen, seit sie vor vielen Tagen den Trank des Seekräuterweibs getrunken hatte. »Ich dachte, es wäre dieses rohe, rotgesichtige Weib.«
Kettelsmit seufzte. »Brigid ist nicht roh.«
»Verteidigt sie nicht, nur weil Ihr von ihr bekommen habt, was Ihr wolltet. Ich bin kein Kind mehr — ich weiß, wie die Dinge laufen. Und sie ist wohl roh. Sie hat versucht, mir Suppe in den Rachen zu gießen. Sie hat mich fast ertränkt.«
»Sie wollte nur, dass Ihr etwas esst. Ihr müsst essen, Elan.« Er setzte sich aufs Fußende des Betts. Es war ein billiges, wackliges Ding, das unter seinem Gewicht ächzte. »Bitte, Mylady, Ihr bringt Euch noch zu Schaden ...«
»Ich bringe mich zu Schaden? Wer hat mir das denn angetan, frage ich Euch? Wer hat mich hintergangen, als ich dem allem ein Ende setzen wollte?«
Kettelsmit ließ den Kopf hängen. So war sie schon, seit sie wieder aufgewacht war, wütend und streitsüchtig oder traurig und stumm, aber immer todunglücklich. Kein Wunder, dass Brigid sich weigerte, weiter hierherzukommen. Er konnte sich keinen Vorwurf dafür machen, dass er nicht hatte mit ansehen wollen, wie sich die Frau, die er liebte, das Leben nahm, aber etwas anders hatte er sich die Sache schon vorgestellt. »Ich«, sagte er nur. Es war leichter, nicht zu widersprechen. Auch so schon hörte er, wenn er wieder ging, ihre klagende Stimme noch stundenlang in seinem Kopf. Er hatte seit Tagen keine Zeile mehr geschrieben, und das just zu dem Zeitpunkt, da er geglaubt hatte, endlich seinen Weg zu finden.
»Alles, worum ich Euch bat, war eine kleine Freundlichkeit.« Sie schloss die Augen und ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Ihr habt gesagt, Ihr liebt mich, immer wieder habt Ihr es gesagt, aber habt Ihr mir gegeben, was ich wollte? Ein Tröpfchen Seelenfrieden, das war mein Wunsch. Etwas ganz Simples.«
»Es ist nichts Simples, jemanden zu töten«, sagte er. »Erst recht nicht, wenn einem diese Person so viel bedeutet wie Ihr mir, Fräulein Elan.«
Sie schlug die Augen wieder auf, und für einen Moment glaubte er, sie würde ihn anschreien, doch dann verschwand der wilde Blick, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wenn Eure Liebe und Euer Mitgefühl mich retten könnten, Matty Kettelsmit, dann hätten sie mich längst gerettet. Aber ich bin verdammt. Ich gehöre Kernios und seinem Reich der Finsternis.«
»Nein, das ist nicht wahr!« Er hob die Hand, um auf das Bettzeug zu schlagen, besann sich dann aber. »Ihr seid von einem schurkischen Mann missbraucht worden. Wenn es in meiner Macht stünde, Hendon Tolly zu töten, würde ich es tun, aber ich bin kein Mann des Schwerts. Ich bin Poet — und manchmal glaube ich, nicht einmal das so recht.«
Wenn er gehofft hatte, sie würde ihm widersprechen, fand er sich enttäuscht. »Es ist so ... so schwer, am Leben zu sein«, sagte sie leise. »Ein Alptraum, aus dem ich nicht zu erwachen vermag. Manchmal glaube ich, wir sind alle Diener des Todes und er verleiht uns nur zeitweilig an andere Herren.«
Er hasste es, wenn sie so redete. »Aber jetzt seid Ihr in Sicherheit, Elan. Hendon Tolly sucht Euch nicht einmal.«
Die Härte von eben trat wieder in ihre Züge. »O Matthias Kettelsmit, Ihr seid ein Narr? Natürlich sucht er nach mir. Nicht, weil er mich vermissen oder auch nur hassen würde — damit könnte ich leben —, nein, weil ich sein
Eigentum
war und er sich von niemandem bestehlen lässt.«
»Ihr seid nicht ...«
Sie hob die Hand. »Bitte. Sagt nicht solche Dinge —
Ihr habt ja keine Ahnung.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich wieder, wurde nur noch beunruhigender. Jetzt war da gar nichts
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