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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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mich nicht falsch — seine Macht war nur zu real. Manche behaupten, die Götter seien ursprünglich vom selben Schlag wie wir — sie stammten vom selben Samen und Mark, doch was sie von uns unterscheide, sei das, wozu sie werden konnten, was sie sich unterwerfen konnten. Andere sagen, sie seien eine gänzlich andere Familie von Wesen. Ich weiß es nicht, Kayyin, ich bin nur eine Kriegerin, und wenn ich auch alt bin, waren die Götter doch schon alt, ehe ich auf diese Welt kam. Doch ob sie nun irgendwie unsere Vettern, Väter oder Ahnen sind — macht niemals den Fehler zu glauben, sie wären wie wir, denn das sind sie nicht.
    König Numannyn war der erste, der starb, gespalten vom sausenden Stab des Tricksters wie ein Holzscheit von der Axt. Die anderen beiden Heerführer starben, als sie ihn verteidigen wollten, ebenso wie Dutzende ihrer Soldaten, allesamt heulend und wehklagend wie die Kampfunerfahrensten unter den Sterblichen. Wenn des Tricksters eigene Männer nicht unter Angstgeschrei davongerannt wären, als er sich zu erkennen gab, hätten sie unser halbes Heer vernichten können, so schrecklich wütete der erzürnte Gott. Aber er hatte die Wahrheit gesagt — er mochte den Krieg nicht. Als seine erste Zorneshitze abgekühlt war, wandte sich der Trickster ab und ging davon, schrumpfte dabei wie Pergament in einer Kerzenflamme, bis nur noch seine Sterblichenverkleidung übrig war. Keiner der Überlebenden erhob die Waffe gegen ihn. Ich glaube nicht, dass es einer von ihnen auch nur erwog.
    Ich war schon in den ersten Augenblicken gefällt worden, mein Schild unter der Peitsche des Tricksters in flammende Splitter zerborsten, mein Körper durch einen Zufallshieb seiner behandschuhten Hand über das Feld geschleudert. Ich lag lange bewusstlos da und kam erst zu mir, als mich Euer Urururgroßvater Ayyam zu meinen Truppen zurücktrug. Er war ein Gefolgsmann eines der anderen Heerführer und beim Versuch, seinen Herrn zu retten, verwundet worden. Er war loyal, und vielleicht ging er mich holen, weil er das Gefühl hatte, seinen Heerführer und seinen König im Stich gelassen zu haben.
    Jedenfalls wurden wir Freunde und in späteren Tagen dann mehr als das. Doch wir sprachen nie von der Nacht, in der wir uns begegnet waren. Es lag über seinem und meinem Denken wie die Narben einer schlimmen Verbrennung ...«
    Sie hielt einen Moment inne, so als wollte sie noch weiterreden, aber eine ganze Weile verging, ohne dass sie etwas sagte.
    »Und warum erzählt Ihr mir diese Geschichte?«, fragte Kayyin schließlich. »Soll ich aus der Loyalität meines Vorfahren irgendeine Lehre ziehen?«
    Sie sah langsam auf, als hätte sie vergessen, dass er da war. »Nein, nein. Ihr habt mich gefragt, warum ich die Sterblichen nicht vernichte, wo ich doch aller Welt erklärt habe, ich würde es tun. Mein geliebter Gefolgsmann Gyir ist tot, und der Pakt des Spiegelglases ist, wie ich befürchtet habe, gescheitert. Also werde ich die Burg der Sterblichen niederreißen, Stein für Stein, wenn ich muss, um zu bekommen, was ich will. Aber das heißt nicht, dass ich Hals über Kopf hineinstürzen werde, trotz Eurer Ungeduld ... und sogar trotz meiner eigenen.«
    Er neigte den Kopf zur Seite, wartete.
    »Weil das, was unter der Burg träumt und sich in unruhigem Schlafe wälzt, ein
Gott
ist, törichtes Kind. Und zudem ist er mein Vater, aber das ist nur für mich von Bedeutung.« Yasammez' Gesicht war so bleich und schrecklich wie der Himmel vor einem Sturm. »Habt Ihr denn nichts von der Geschichte verstanden, die ich Euch erzählt habe? Die Götter sind nicht wie wir — sie sind so anders als wir, wie wir anders sind als winzige Käfer, die sich auf einem Blatt scharen. Nur ein Narr stört überhastet etwas auf, das er nicht verstehen und nicht beherrschen kann. Versteht Ihr mich jetzt? Dies wird der Sterbegesang unseres Volkes sein. Ich möchte sicherstellen, dass wir, wie immer es endet, wenigstens die Melodie singen, die wir selbst gewählt haben.«
    Kayyin senkte den Kopf. Einen Augenblick später tat Yasammez es ihm nach. Ein Fremder, der zufällig in den Saal geraten wäre, hätte sie für zwei betende Sterbliche halten können.

    »Wollt Ihr wirklich das da tragen, um den Prinzen zu empfangen, Hoheit?«, fragte Feival tadelnd. Er genoss seine neue Rolle sehr — zu sehr, dachte Briony: Er war genauso ein Quälgeist, was ihr Äußeres anging, wie Tante Merolanna oder Rose und Moina.
    »Das ist nicht Euer Ernst, Hoheit!«, sagte ihre

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