Die Daemmerung
für Euch.«
Briony fühlte Tränen in ihren Augen brennen. Normalerweise hätte sie dagegen angekämpft, aber das hier war keine normale Situation. »O Götter, bewahrt meinen armen Vater? Er fehlt mir so sehr?«
Feival beugte sich mit einem Taschentuch zu ihr. »Euer Puder wird zerlaufen wie frische Farbe im Regen, Hoheit«, erklärte er.
Eneas war sichtlich unbehaglich zumute. »Es tut mir leid, Prinzessin. Bitte, messt dem, was ich über Euren Vater oder Hierosol gesagt habe, nicht zu viel Bedeutung bei. Das Land ist im Krieg, und man erfährt kaum etwas mit Gewissheit. Es kann auch sein, dass Ludis nicht auf ein so wertvolles Unterpfand wie Euren Vater verzichten wollte und ihn auf seine Flucht mitgenommen hat.«
Briony zog die Nase hoch und lachte gequält. »Die Vorstellung, dass ein verzweifelter Ludis Drakava meinen Vater über ein Schlachtfeld schleppt, ist wohl auch nicht gerade dazu angetan, mich aufzuheitern, Prinz Eneas.«
Jetzt schien er noch verlegener. »Oh, bei der Ehre der Götter — Briony, ich meine Prinzessin, es tut mir aufrichtig leid, dass ich es überhaupt angesprochen habe ...«
Sie wollte ihn nicht ewig am Haken zappeln lassen. »Bitte, Prinz Eneas, macht Euch keinen Vorwurf. Ihr habt es nur gut gemeint, und ich bin so lange von so vielen Menschen getäuscht worden, die ich für Freunde hielt, dass ich Euch für die Wahrheit nur danken kann. Aber jetzt lasst Euch bitte nicht länger aufhalten. Ich weiß, Ihr habt viel zu tun. Ich danke Euch für alles.«
Als ein leicht verwirrter Eneas ihre Gemächer verlassen hatte, tupfte Briony sich die Augen und wedelte Ivgenias Tröstungsversuche ebenso weg wie Feivals Bemühungen, ihr Gesicht zu restaurieren. Erschöpfung und Sorge vorschützend, schickte sie beide weg, obwohl sie sichtlich darauf brannten, mit ihr über Prinz Eneas zu reden.
Briony litt nicht ganz so sehr, wie sie es nach außen hin darstellte. Natürlich war sie unglücklich und besorgt wegen ihres Vaters, aber das war schon seit Monaten so — und sie konnte nun mal nur ein bestimmtes Maß an Angst, Schwäche und Hilflosigkeit aushalten. Also hatte sie Pläne geschmiedet, etwas gegen die Ohnmacht zu tun, und jetzt hatte sie begonnen, diese Pläne umzusetzen.
8
Falke und Weih
Auf dem Südkontinent sind Elben in der Überlieferung oder doch zumindest in der Erinnerung allerorten präsent, von Xis bis hinab
zum
sagenumwobenen Sirkot im äußersten Süden. Es heißt sogar, im hesperischen Meer gebe es einige bewaldete Inseln, wo bis heute Qar lebten, aber das ist unbewiesen.
Eine Abhandlung über die Elbenvölker Eions und Xands
Pinnimon Vash wischte die Spitze seiner Schreibfeder sorgfältig am Löschblatt ab und malte dann den verschlungenen Buchstaben
Bre.
Wieder wischte er die Feder ab, bevor er den nächsten Buchstaben schrieb. Exaktheit war wichtiger als Schnelligkeit.
Der Oberste Minister von Xand führte seinen Terminkalender.
Manch ein Sprössling ähnlich altehrwürdiger Familien wie der Vashs hatte ihn in seiner Jugend dafür verspottet, dass er so viel Zeit mit Schreiben verbrachte. Welcher echte rotblütige Sohn der Wüste würde schon freiwillig stundenlang im Schneidersitz dasitzen, Stifte spitzen, Tinte mischen und Pergament präparieren, um dann schließlich Wörter auf ein Blatt zu kritzeln? Selbst wenn es dabei um wahrhaft männliche Themen wie beispielsweise Schlachten gegangen wäre, war es doch noch lange nicht dasselbe, wie sich selbst im Kampf zu bewähren, und in Wahrheit hatten Jung-Pinnimons Schreibübungen oft nur im simplen Kopieren von Haushaltsabrechnungen bestanden.
Nicht dass Vash des Reitens oder Bogenschießens nicht mächtig gewesen wäre. Er hatte es immer gerade gut genug gekonnt, um den schlimmsten Hänseleien zu entgehen, war bei den Festtagsspielen nie unter die Ersten gekommen, hatte sich aber auch nie gründlich blamiert. So waren denn seine Altersgenossen in mittleren Militärkarrieren gelandet oder zum Müßiggang auf den Gütern ihrer Familien verdammt gewesen, während Vash unter mehreren Autarchen immer weiter aufgestiegen war, vom Schreiber zum Buchhalter und Hofbeamten und schließlich in die hohe Position, die er jetzt innehatte: zweitmächtigster Mann im mächtigsten Reich der Welt.
Praktisch allerdings hieß das nur, dass er der Sekretär des gefährlichsten Wahnsinnigen der Welt war.
Vash beendete seine Schreibarbeit und seufzte. Zwar hatten ihm die langen Tage auf dem Schiff Zeit gegeben, Liegengebliebenes zu
Weitere Kostenlose Bücher