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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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wie kann ich Euren Auftrag erfüllen? Ich bin doch ein Gefangener?«
    »Nicht mehr lange. Dafür werde ich sorgen. Seid tapfer, Freund Finn. Ihr steht jetzt in meinen Diensten, und ich werde mich um euch kümmern.«
    Briony ging zur Tür und riss sie auf. »Schauspieler! Oh, was bin ich froh, sie los zu sein?« Sie sagte es so laut, dass es die Wachen hören mussten. »Bringt ihn wieder in seine Zelle! Ich bin die Gesellschaft professioneller Lügner leid.«

    Er verbeugte sich im Eintreten. »Guten Morgen, Herrin. Werdet Ihr mich heute töten?«
    »Warum fragt Ihr, Kayyin? Hattet Ihr andere Pläne?«
    Das war ihre rituelle Begrüßung. Aber es war nicht nur Ironie.
    Lady Yasammez hatte die Augen geschlossen. Ihre Gedanken waren weit geschweift und eben erst hierher zurückgekehrt, an diesen fremden Ort, in diese Sonnländerstadt am Meer — diesem Meer, das dasselbe war, das auch gegen die Felsen vor Qul-na-Qar schlug, und das doch so anders aussah und sich so anders anfühlte. Ja, in nur wenigen hundert kurzen Jahren hatte der Mantel alles verändert, dieses große Tuch, das der Krumme sie zu ihrem Schutz zu erzeugen gelehrt hatte — aber war es nur der Mantel, der die Dinge verändert hatte? War nicht in den Herzen des Volkes selbst —
ihres
Volkes — etwas gewachsen, das die Sonne nicht mehr liebte? Sie dachte über Kayyin nach, während er vor ihr stand, mit seinem seltsamen, traurigen Lächeln. Welcher Qar sah je so aus, hatte diesen Ausdruck von Furcht und Schuldgefühl, den nur ein Sterblicher zustande brachte?
Sie sind nicht
so
anders als wir, wie Ihr vermutlich glaubt —
das hatte Kayyin selbst einmal zu ihr gesagt. Damals hatte sie es als einen seiner Versuche abgetan, sie zu erzürnen, sie dazu zu bringen, ihn zu töten, sein unnatürliches Halbleben zu beenden. Später dann hatte sie begonnen, darüber nachzugrübeln. Und wenn es nun stimmte?
    Und plötzlich, als sie an die dunklen Wellen dachte, die unablässig vor Qul-na-Qar anbrandeten, kam ihr noch ein anderer Gedanke: Und wenn nun die Sonnländer, diese sterblichen Insekten, die zu zerquetschen sie sich seit Jahren sehnte, durch deren Schwerter sie gern sterben wollte, wenn sie dem Feind nur vorher einen ausreichenden Blutzoll abgefordert hatte ... wenn die Sterblichen nicht nur genauso waren wie ihr Volk, sondern besser? Wie lange konnte ein Wesen mit gebeugtem Rücken gehen, ehe es sich nicht mehr aufzurichten vermochte? Wie lange konnten Höhlengeschöpfe so leben, als würden sie eines Tages ans Licht zurückkehren, ehe ihre Augen schließlich verkümmerten und ihre Haut so weiß wurde wie Leichenfleisch? Wie lange konnte man das Leben einer minderwertigen Kreatur führen, ehe man eine minderwertige Kreatur
wurde?
    »Ihr habt den Kampf immer noch nicht begonnen, Herrin«, brach Kayyin schließlich das Schweigen.
    »Kampf?«
    »Es ist nur Tage her, dass Ihr geschworen habt, die Sterblichenstadt da vor uns zu zerstören. Wisst Ihr noch? Das war, als Ihr die beiden Frauen aus Südmark gefangen genommen habt. Da wart Ihr höchst beeindruckend, Herrin, überaus furchterregend. ›Es wird eine Freude sein, die Schreie eures Volkes zu hören‹, habt Ihr ihnen erklärt. Aber ich kann nicht umhin zu bemerken, dass Ihr hier sitzt und die Schreie noch immer nicht ertönt sind. Könnte es sein, dass Ihr noch einmal über Euren blinden Hass nachgedacht habt?«
    »Blinder Hass?« Gereizt wandte sie sich ihm zu. Dass sie sich ärgerte, war als solches schon ärgerlich — er lebte nur dafür, sie zu provozieren, und sie verabscheute es, ihm die Genugtuung zu geben. Aber was sie jetzt sagte, klang sonderbar, fast schon gehässig. »Es ist nur der Vernunft geschuldet, dass sie noch leben. Nur ein Narr zögert nicht, ehe er etwas tut, das nicht rückgängig zu machen ist — und was ich mit den Sterblichen vorhabe, ist von dieser Art. Wenn der Gott tot ist, werden die Sterblichen ebenfalls sterben.« Sie sah ihn an, gestattete sich ein Blinzeln, ein kurzes Zeichen leiser Überraschung. »Wollt Ihr wirklich, dass ich sie heute angreife, Kayyin? Wollt Ihr das Ende der Sterblichen beschleunigen? Ich dachte, Ihr fühltet Euch ihnen mittlerweile näher.«
    »Ich will, dass Ihr Euch darüber im Klaren seid, was in Euch vorgeht, Herrin. Davon, so scheint mir, wird vieles abhängen.«
    »Was redet Ihr da für einen Unsinn?«
    »Unsinn, der mir ins Ohr geflüstert wurde, ehe ich mich selbst wieder kannte.« Kayyin hielt einen Moment inne, als suche er nach Worten.

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