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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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voraus.«
    Vash winkte ab, weil er es keinesfalls zu einem Schmeicheleien-Wettstreit kommen lassen wollte, was am xixischen Hof Stunden dauern konnte. »Mit geht es ausschließlich um das Wohl von Xis und darum, den Willen der Götter zu erfüllen, vor allem den Willen des mächtigen Nushash, welcher der Herr des gesamten Himmels ist, so wie der Autarch der Herr der gesamten Erde ist. Doch nun zu meiner Frage.« Er hielt inne, nahm einen weiteren Schluck Tee und fühlte zum ersten Mal das ganze Gewicht dessen, was er da tat — das Risiko, das er einging. »Wohin segeln wir, guter Panhyssir? Was plant der Autarch? Warum fahren wir nur mit so wenigen Soldaten in dieses fremde nördliche Land, das so weit außerhalb der Reichweite unserer mächtigen Armee liegt?«
    Jetzt, da seine Zweifel unwiderruflich ausgesprochen waren, schwenkte er den Tee in seiner Schale und betrachtete den Wirbel der Teeblätter, die Muster, so komplex und schön wie ein in feinster Schrift gemaltes Gedicht. Einen Moment lang hatte Vash die Vision eines völlig anderen Lebens, in dem er allem Reichtum und aller persönlichen Macht entsagt hatte und seine Zeit damit verbrachte, die Grenzen zwischen Erde und Ewigkeit mit Tinte nachzuzeichnen, die Worte der großen Dichter und Denker niederzuschreiben, nur mit dem einen Ziel, sie so schön und bewegend und wahr wie irgend möglich zu machen.
    Aber diesen anderen Vash hätten seine Eltern verstoßen, und er wäre schon längst verhungert,
dachte er weiter,
und dann könnte ich dies hier gar nicht denken.
Ihm ging auf, dass seine Gedanken abgeschweift waren — selbst in einem so kritischen Moment.
Ich werde wahrhaftig alt.
    »Ach ja, unsere Reise in den Norden.« Der Oberpriester runzelte die Stirn, nicht ärgerlich oder entrüstet, sondern wie jemand, der über eine interessante Herausforderung nachdenkt. »Was hat Euch der Goldene gesagt?«
    Fast wäre ihm »Nichts« herausgerutscht, aber er biss sich auf die Zunge: Das klänge doch zu sehr, als wäre er von allen Informationen ausgeschlossen. »Dies und das. Aber ich fürchte, ich verstehe ihn manchmal nicht, seine Sprache ist so erhaben und mein Verstand so gewöhnlich. Ich dachte, Ihr könntet es mir vielleicht besser erklären.«
    Panhyssir nickte lächelnd.
Du selbstgefällige Kröte,
dachte Vash.
Deshalb bist du doch Priester geworden, oder nicht? Damit du dich über uns alle erheben kannst, weil angeblich nur du den Willen der Götter kennst.
    »Zunächst«, sagte der Oberpriester, »müsst Ihr eines verstehen: Der Goldene ist Gelehrter und Herrscher zugleich. Er hat Bücher des alten Wissens, deren Namen nur wenige hochgelehrte Männer kennen, aufgetan und gelesen. Ich kann aufrichtig sagen, dass er im Studium der Götter und ihrer Wege weiter gekommen ist als selbst ich, der oberste Priester des höchsten Gottes.«
    Vash bezweifelte nicht, dass das stimmte. Panhyssir war zwar keineswegs dumm, aber seine Freude an der Macht war weit größer als seine Liebe zur Gelehrsamkeit. »Und diese ganzen ... Studien ... führen uns jetzt also in den Norden, in ein kaltes, regnerisches, wildes Land — aber warum?«
    »Weil der Goldene einen Plan von so atemberaubender Kühnheit entwickelt hat, dass selbst ich ihn kaum zu verstehen vermag.« Der Priester tätschelte seinen dicken Bauch. »Und in ganz Xand und Eion gibt es nur einen einzigen Ort, an dem er ausgeführt werden kann — eine Burg im winzigen Königreich der Markenlande. Dem Reich des heidnischen Königs Olin.«
    »Aber was für einen Plan, Panhyssir? Worin besteht dieser Plan?«
    »Der Herr des Großen Zeltes, unser gesegneter Autarch, will die Götter selbst aus ihrem langen Schlaf wecken.« Der Priester trank seinen Tee aus und streckte die Schale von sich, damit der Sklave käme und sie ihm abnähme. »Und es kostet nicht mehr als das Leben des Nordländerkönigs. Ein geringer Preis dafür, den Himmel auf unsere verderbte Erde zu holen, teurer Oberster Minister Vash, meint Ihr nicht auch?«

    Pinnimon Vash wusste nicht, was er davon halten sollte. Als er langsam die Treppe von Panhyssirs Kabine zum Oberdeck hinaufstieg, überrollte ihn eine Welle der Müdigkeit, so schwer wie das schäumende Meer. Was könnte irgendjemand gegen solchen Wahnsinn tun, erst recht aber ein einzelner alter Mann? Natürlich waren Panhyssir und seine Priester hocherfreut über die Tollheit des Autarchen — er sprang ihren nebulösen Ideen hinterher wie eine Katze einem Wollknäuel. War das etwa der Grund

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