Die Daemmerung
beenden, diverse politische und wirtschaftliche Angelegenheiten zu ordnen und vernachlässigte Korrespondenz zu erledigen, doch selbst das deprimierte Vash eher, als dass es ihn befriedigte: Es fühlte sich an, als bereite er sich aufs Sterben vor, indem er sein Haus bestellte und sein Vermächtnis regelte. Seit Monaten schon war ihm immer unbehaglicher zumute, was seinen Herrscher betraf, doch seit der Flucht dieses Tempelmädchens, das Sulepis merkwürdigerweise zu seiner hundertsiebten Braut auserkoren hatte, war es noch schlimmer geworden. Der Autarch schien zunehmend in einer Welt zu leben, über die andere wie sein Oberster Minister allenfalls spekulieren konnten, zu der sie aber keinen Zugang hatten: wenn Sulepis etwa zusammenhanglos über sonderbare, oft religiöse Themen sprach oder so unverständliche Aktionen vom Zaun brach wie diese Reise in den Norden, die irgendjemandem zu erklären er sich gar nicht erst die Mühe machte — und selbst wenn er es täte, würde das vermutlich auch nichts erhellen.
Aber was sollte man machen? Viele xixische Autarchen vor ihm waren zu einem gewissen Grad wahnsinnig gewesen, verglichen mit normalen Menschen jedenfalls. Die Inzucht über Generationen hinweg machte sich bemerkbar, ganz davon abgesehen, dass es auch den stärksten und vernünftigsten Männern manchmal schwerfiel, mit absoluter Macht umzugehen. Im berühmten Bericht eines Überlebenden der Herrschaftszeit Vaspis' des Dunklen hieß es, sich im Dunstkreis dieses Autarchen aufzuhalten sei ebenso nervenaufreibend, wie das Lager mit einem hungrigen Löwen zu teilen. Sulepis jedoch schien noch einmal von anderem Schlage als selbst die grausamsten seiner Vorgänger. Er vermittelte den Eindruck, irgendwelche vollkommen ernstzunehmende Ziele zu verfolgen, doch was er tat, ergab für niemanden einen Sinn.
Vash klatschte in die Hände, erhob sich und ließ den Morgenrock von seinem gebrechlichen, alten Körper gleiten. Seine jungen Diener wieselten herbei, um ihn anzukleiden, die hübschen Gesichter so ernst, als gingen sie mit einem kostbaren Wertgegenstand um. In gewisser Weise stimmte das sogar, denn die Macht des Obersten Ministers über sie beinhaltete auch das Recht, sie töten zu lassen, falls sie ihn verletzten oder ärgerten. Nicht dass er je einen aus letzterem Grund getötet hätte, das war nicht sein Stil. Noch vor zehn Jahren etwa hatte er große Mühe darauf verwandt, Knaben mit Witz und Mumm zu wählen, Diener, die ihn neckten oder ab und zu sogar so taten, als widersetzten sie sich — wissende, lausbübische, verführerische Knaben. Doch jetzt, da er die achtzig überschritten hatte, war es mit seiner Geduld nicht mehr so weit her. Die einst so lustvolle Aufgabe, solchen Dienern Zucht beizubringen, war jetzt nur noch anstrengend. Jetzt gab er jedem neuen Diener nur noch zwei, drei Mal die Peitsche, um ihn zu erziehen. Machte der Knabe dann immer noch keine Anstalten, jenen stummen Gehorsam zu erlernen, den Vash mittlerweile bevorzugte, gab er ihn einfach weiter — an jemanden wie Panhyssir oder den derzeitigen Statthalter des Autarchen in Xis, Muziren Shah, jemanden, dem es Spaß machte, den rebellischen Geist zu brechen, und der auch vor schmerzhaften Bestrafungen nicht zurückscheute.
Ich habe
zu
viel Schmerz gesehen,
erkannte Vash.
Das vermag mich nicht mehr
zu
amüsieren oder auch nur
zu
schockieren.
Inzwischen war es offenbar einfach nur noch etwas, womit man lieber nichts zu tun haben wollte.
Scheinbar zufällig traf Vash an Deck, direkt vor der großen Kabine des Autarchen, Panhyssir. Der stämmige Priester und ein Tempeldiener hatten offenbar gerade den Nushash-Schrein geöffnet.
»Guten Morgen, alter Freund«, sagte Vash. »Habt Ihr den Goldenen heute schon gesehen? Ist er wohlauf?«
Panhyssir nickte — eine Bewegung, die eher in einem heftigen Schwabbeln seines Mehrfachkinns bestand. Hier an Bord verzichtete er, außer während der Gottesdienste, auf das Tragen seines hohen Huts. Jetzt nur mit einer einfachen Haube bedeckt, wirkte sein Kopf mit dem breiten Gesicht auf eine obszöne Art nackt. Allerdings trug Panhyssir eine höchst beeindruckende schwarze Robe. Statt mit dem Falken des Autarchen oder Nushashs goldenem Rad war sie mit einem flammenden goldenen Auge bestickt.
»Was ist das?«, fragte Vash. »Dieses Zeichen habe ich noch nie gesehen.«
»Nichts«, sagte Panhyssir leichthin, »eine kleine Laune des Goldenen. Er liegt heute bei den kleinen Königinnen.« Das waren seine
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