Die Daemmerung
Dutzende, sodass der ganze Saal von Regenbogen gekrönt schien. Der Boden war ein wirbelndes Muster aus schwarzen und weißen Marmorquadraten, ein kompliziertes, rundes Mosaik namens Perinsauge — weltberühmt, wie ihr Erasmias Jino erklärte, als er sie darüberführte. Sie folgte ihm, vorbei an dem riesigen, leeren Thron und den gepanzerten Rittern in Blau, Rot und Gold, die feierlich an den mächtigen Wänden des Thronsaals standen, so reglos und stumm wie Statuen.
»Ihr müsst mir irgendwann gestatten, Euch die Gärten zu zeigen«, sagte der Marquis. »Gewiss, der Thronsaal ist prächtig, aber die königlichen Gärten sind
wirklich
außergewöhnlich.«
Ich verstehe, was du sagen willst, Mann —
so
sieht ein richtiges Königreich aus.
Ihr heiter-gelassener Gesichtsausdruck verriet nichts, aber Jinos hochmütige Art setzte ihr zu.
Du hältst nicht viel von Südmark und unseren kleinen Problemchen und willst mich daran erinnern, was wahre Macht und Größe sind. Ja, ich habe verstanden. Du denkst, die Krone meiner Familie ist nicht mehr wert als die Theaterkrone aus Holz und Goldfarbe, die ich auf der Bühne getragen habe.
Aber der Mut und der Geist eines Königreichs sind nicht klein, nur weil das Königreich klein ist,
dachte sie.
Jino führte sie ans andere Ende des Thronsaals, zu einer Tür, flankiert von Wachen in ähnlichem Blau und Rot wie das der Ritter entlang der Wände. »Das Kabinett des Königs«, sagte Jino, als er die Tür öffnete und sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte. Ein Herold in einem himmelblauen Heroldsrock mit dem berühmten syanesischen Wappen — Schwert und blühender Mandelzweig — fragte sie nach Rang und Namen und stieß dann mehrmals seinen Stab mit dem goldenen Heroldssymbol auf den Boden.
»Briony te Meriel te Krisanthe M'Connord Eddon, Prinzregentin der Markenlande«, verkündete er so beiläufig, als wäre sie an diesem Tag bereits die vierte oder fünfte Prinzessin, die durch diese Tür trat. Und vielleicht war sie das ja tatsächlich: Zwei, drei Dutzend Wachen, Diener und hübsch gekleidete Höflinge füllten den prächtig ausgestatteten Raum, und wenn auch viele herblickten, zeigte doch kaum einer größeres Interesse.
»Ah, natürlich, Olins Kind!«, sagte der bärtige Mann auf der hochlehnigen Polsterbank und winkte sie näher heran. Er war streng und dunkel gekleidet und hatte eine tiefe, kräftige Stimme. »Ich erkenne seine Züge in Euren. Welch unerwartetes Vergnügen.«
»Danke, Majestät.« Briony knickste. Enander Karallios war der mächtigste Herrscher Eions und sah auch so aus. Er hatte in den letzten Jahren etwas Fett angesetzt, trug es aber, groß und stattlich wie er war, mit Würde. Sein Haar war noch fast schwarz, nur mit wenigen grauen Fäden durchwirkt, und sein Gesicht war, obgleich von Fleischpolstern gerundet, doch immer noch imposant: die Stirn hoch, die Augen weit auseinanderliegend, die Nase ausgeprägt, sodass man durchaus verstehen konnte, warum er in jüngeren Jahren als überaus gutaussehender Prinz gegolten hatte. »Kommt, Kind, setzt Euch. Wir freuen uns, Euch zu sehen. Euer Vater ist uns lieb und teuer.«
»Ganz Eion ist er lieb und teuer«, sagte die Frau in dem wunderschönen, perlenbestickten Kleid neben ihm. Das musste Ananka te Voa sein, dachte Briony, schon von Hause aus eine mächtige Edelfrau, zudem und vor allem aber als Geliebte von Königen bekannt. Briony schockierte es etwas, sie so offen an Enanders Seite sitzen zu sehen. Die zweite Gemahlin des Königs war vor einigen Jahren gestorben, doch dem Klatsch zufolge, den Briony bei Makswells Mimen mitbekommen hatte, war diese Ananka erst vor kurzem aufgetaucht, nachdem sie ihren vorherigen Geliebten Hesper, den König von Jael und Jellon, verlassen hatte.
Hesper, der elende Verräter ...!
Beim Gedanken an ihn hätte Briony beinah mitten im Hofknicks das Gleichgewicht verloren. Es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die Briony unter der Folter leiden sehen wollte, aber Hesper war einer davon. Sie fragte sich, ob Ananka an Hespers Seite gesessen hatte, als der auf die Idee verfallen war, Brionys Vater Olin gefangen zu nehmen und an Ludis Drakava zu verkaufen. Wenn sie in die harten, stechenden Augen dieser Frau sah, schien ihr das nur zu leicht vorstellbar.
»Ihr seid beide sehr gütig«, sagte Briony, um einen ruhigen, festen Ton bemüht. »Mein Vater hat stets mit höchster Achtung und Zuneigung von Euch gesprochen, König Enander.«
»Und wie geht es
Weitere Kostenlose Bücher