Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
ihm? Habt Ihr Nachricht von ihm erhalten?« Enander spielte an irgendetwas auf seinem Schoß herum, was sie ablenkte. Bei näherem Hinsehen erkannte sie ein Paar glänzende Äuglein, das unter seinem schweren Samtärmel hervorlugte. Es war ein kleines Tier, ein winziges Hündchen oder ein Frettchen.
    »Ein paar Briefe, ja, aber seit ich Südmark verlassen habe nichts mehr.« Sie fragte sich, was die beiden dachten. Sie verhielten sich, als wäre das hier irgendeine Audienz — wussten sie denn nicht über ihre Situation Bescheid? »Eurer Majestät ist zweifellos bekannt, dass ich ... nun, sagen wir, meine Heimat nicht aus freien Stücken verlassen habe. Einer meiner Untertanen ... nein, ein Untertan meines Vaters, Hendon Tolly, bemächtigte sich auf verräterische Art des Throns der Markenlande. Ich habe ihn im Verdacht, meinen Bruder umgebracht zu haben und seinen eigenen ebenfalls.« Kendricks Ermordung war zwar in Wahrheit das einzige dieser Verbrechen, das sie Hendon Tolly nicht mit letzter Sicherheit anlasten konnte, doch dass er beim Tod seines Bruders Gailon die Hand im Spiel gehabt hatte, hatte er selbst zugegeben.
    »Wie Ihr vermutlich wisst, sagt Lord Tolly anderes«, erwiderte Enander mit einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm die Situation unangenehm. »Wir können nicht Partei ergreifen — nicht, ohne mehr zu wissen. Das werdet Ihr sicher verstehen. Lord Tolly behauptet, Ihr wärt davongelaufen und er schütze lediglich Olins letzten verbleibenden Erben, den kleinen Alessandros. So heißt der Junge doch?«, fragte er Ananka.
    »Alessandros, ja.« Sie wandte sich wieder Briony zu. »Armes Kind?« Ananka war hübsch, benutzte aber zu viel Puder — er unterstrich die Falten in ihrem mageren Gesicht, statt sie zu kaschieren. Dennoch war sie die Sorte Frau, neben der sich Briony immer schon als tolpatschiges, dummes kleines Mädchen gefühlt hatte. »Was müsst Ihr gelitten haben! Und diese Geschichten, die zu uns gedrungen sind? Ist es wahr, dass Südmark von den Zwielichtlern angegriffen wurde?«
    König Enander sah sie irritiert an, vielleicht, weil er nicht daran erinnert werden wollte, in welcher Schuld Syan aus früheren Elbenkriegen gegenüber Anglins Geschlecht stand.
    »Ja, Mylady, es ist wahr«, sagte Briony. »Und, soweit ich weiß, auch noch nicht vorbei ...«
    »Aber Ihr, so sagte man uns, habt Euch inmitten einer Horde Bauern versteckt und seid geflüchtet — zu Fuß, den ganzen Weg von Südmark hierher! Wie schlau? Wie mutig!«
    »Tatsächlich war es eine Theatertruppe ... Mylady.« Briony hatte gelernt, ärgerliche Antworten hinunterzuschlucken, aber es schmeckte nicht gut. »Und ich bin nicht vor den Belagerern geflohen, sondern vor meinem eigenen verräterischen ...«
    »Ja, wir haben es gehört — welch eine Geschichte?«, unterbrach sie Enander, ehe sie noch mehr sagen konnte. Das war kein Zufall. »Aber wir kennen nur das nackte Gerüst — natürlich müsst Ihr es bald einmal für uns auspolstern. Mm-mm«, sagte er und hob die Hand, als für sie der Moment gewesen wäre, noch mehr dazu zu sagen. »Nicht jetzt, liebes Kind — Ihr müsst doch erschöpft sein von allem, was Ihr durchgemacht habt. Dafür ist noch genügend Zeit, wenn Ihr Euch wieder kräftiger fühlt. Wir sehen Euch heute beim Nachtmahl.«
    Sie bedankte sich und machte einen weiteren Hofknicks.
Heißt das, ich bin ein Gast?,
fragte sie sich. Oder
eine Gefangene?
Ganz klar war das nicht.
    Als Lord Jino sie aus dem Kabinett des Königs führte, kämpfte Briony gegen Zorn und Niedergeschlagenheit. Enander hatte sie höflich empfangen, und bisher hatten die Syanesen sie so gut behandelt, wie irgend zu erhoffen gewesen war. Hatte sie etwa erwartet, der König würde sich erheben, seine ewige Treue zu Anglins Geschlecht verkünden und ihr auf der Stelle ein Heer zur Verfügung stellen, damit sie heimkehren und die Tollys stürzen könnte? Natürlich nicht. Doch vom ganzen Gebaren des Königs her hatte sie das deutliche Gefühl, dass so etwas nicht nur jetzt nicht passierte, sondern nie passieren würde.
    Mit diesen Gedanken war Briony so beschäftigt, dass sie beinah mit einem hochgewachsenen Mann zusammengeprallt wäre, der durch den Thronsaal auf das Kabinett zustrebte, aus dem sie gerade kam. Als sie vor Schreck stolperte, hielt er sie mit starker Hand fest.
    »Verzeihung, edles Fräulein«, sagte er. »Seid Ihr wohlauf?«
    »Königliche Hoheit«, sagte Jino. »Wir haben Euch noch nicht zurückerwartet.«
    Briony strich

Weitere Kostenlose Bücher