Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
zu inhalieren. »Ich weiß, was du vorhast. Du kommst nicht zurück, das ist es. Ich habe gesehen, was du in dein Auto gepackt hast. Deine Waffen, deine Bowlingkugel, sogar deine Pokale und Angelruten. Nicht zu vergessen deine Alltagsklamotten, nicht etwa die schicken Anzüge, die im Schrank hängen, seit Jesus die Zehn Gebote geschrieben hat.«
    Sie stellt sich ihm in den Weg und packt ihn am Arm, während er, wegen des Rauchs die Augen zusammenkneifend, die Eiswürfel in der Kühlbox verteilt.
    »Ich rufe dich an. Ich muss nach Louisiana, das weißt du genau. Doc Scarpetta ist schon dort oder wird bald ankommen. Und mir ist klar, was sie vorhat, das braucht sie mir gar nicht zu erzählen. Du willst doch nicht, dass sie stirbt, Trixie.«
    »Ich habe die Schnauze voll von Scarpetta hier, Scarpetta da!« Ihr Gesicht läuft rot an, und sie schiebt Marinos Hand weg, als wäre es seine Idee gewesen - nicht ihre ihn anzufassen. »Seit ich dich kenne, höre ich nur Scarpetta hier, Scarpetta da. Sei doch ehrlich: Sie ist die einzige Frau in deinem Leben. Ich bin nur die zweite Wahl in dem Basketballspiel, das du als Leben bezeichnest.«
    Marino zuckt zusammen. Er kann Trixies farbenfroh-falsche Sprachbilder nicht ertragen; sie erinnern ihn an ein verstimmtes Klavier.
    »Ich bin nur das Mauerblümchen, auf der Party, die für dich das Leben ist«, spinnt sie das Drama weiter. Und mehr ist es inzwischen auch nicht mehr.
    Ein Drama. Eine schlechte Seifenoper.
    Bei ihren Streitereien gibt es feste Rollen, und obwohl Marino ein eingefleischter Gegner der Psychologie ist, kann nicht einmal er sich einer Erkenntnis verschließen, die so leicht beiseite zu schieben ist wie ein Berg: Er und Trixie streiten sich wegen allem und jedem, weil sie sich wegen nichts streiten.
    Ihre nackten Füße mit dem abblätternden roten Lack auf den Zehennägeln tappen über den Küchenboden, als sie auf und ab läuft. Dabei rudert sie mit den dicklichen Armen, sodass die Zigarettenasche auf den schmutzigen Linoleumbelag rieselt. »Tja, dann fahr halt nach Louisiana, um bei deiner Scarpetta hier, Scarpetta da zu sein. Wenn - oder falls - du zurückkommst, wohnt vielleicht jemand anders in deiner Bruchbude, und ich bin weg. Weg! Weg! Weg!«
    Vor einer halben Stunde hat Marino sie gebeten, eine Verkaufsanzeige für sein Haus aufzugeben. Sie darf darin wohnen bleiben, bis sich ein Käufer findet.
    Der geblümte Morgenmantel aus Kunstfaser umflattert Trixies Füße, als sie weiter hin und her geht. Ihre Brüste hängen über den Gürtel, den sie immer zu eng um ihre dicke Taille schnürt. Marino wird von Wut und Schuldgefühlen ergriffen. Wenn Trixie ihm wegen Scarpetta die Hölle heiß macht, geht er normalerweise so schnell in die Luft wie ein blindwütiger Vogel, der aus einem Astloch schießt: aufgescheucht und ohne wirklich zu wissen, wie er sich verteidigen oder einen Gegenangriff starten soll.
    Er schafft es nicht, sein angeknackstes Selbstbewusstsein dadurch aufzubessern, dass er Andeutungen auf eine leider nie stattgefundene Affäre mit Scarpetta macht. Deshalb treffen die Pfeile, die die eifersüchtige Trixie auf ihn abschießt, auch ihr Ziel, und es blutet. Es belastet Marino nicht, dass er jede Frau, die er in seinem Leben hatte, wieder verloren hat. Nur die, die er nie haben konnte, macht ihm zu schaffen, und Trixies Tobsuchtsanfall nähert sich bedenklich dem unweigerlichen Crescendo, dem zwangsläufig die Koda, das Ende des Stücks, folgen wird.
    »Du bist so verrückt nach ihr, dass es schon widerlich ist!«, brüllt Trixie. »Und dabei bist du für sie nichts weiter als ein fetter Hinterwäldler. Mehr wirst du nie sein. Ein dicker, fetter, verblödeter Hinterwäldler!«, kreischt sie weiter. »Und mir ist es egal, ob sie stirbt. Mit dem Tod kennt sie sich wenigstens aus!«
    Marino hebt die Kühlbox auf, als wäre sie federleicht, durchquert sein schäbiges, unaufgeräumtes Wohnzimmer und bleibt an der Haustür stehen. Er betrachtet den 90-Zentime- ter-Farbfernseher - zwar nicht neu, aber ein Sony und noch gut in Schuss. Traurig mustert er seinen Lieblingsfernsehsessel, in dem er nach seinem Gefühl den Großteil seines Lebens verbracht hat, und er verspürt einen Schmerz, der so tief sitzt, dass er ihn als Krampf in den Eingeweiden empfindet. Er erinnert sich an die vielen Stunden, die er halb betrunken in diesem Sessel Football geschaut und seine Zeit und Kraft an Frauen wie Trixie verschwendet hat.
    Dabei ist sie gar nicht so übel.

Weitere Kostenlose Bücher