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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Genau genommen bin ich sogar allein verantwortlich, da ich Rudy zu dieser Mission in Polen überredet habe.«
    Sie unterhalten sich noch lange. Nachdem Lucy ihrer Tante alles berichtet hat, was in Stettin geschehen ist, wartet sie auf ihr Urteil. Die schlimmste Strafe wäre, wenn Scarpetta sie für immer aus ihrem Leben verbannen würde, so wie Benton daraus verbannt worden ist.
    »Ich bin erleichtert, dass Rocco tot ist«, sagt Scarpetta schließlich. »Man kann es nicht mehr rückgängig machen«, fügt sie hinzu. »Doch irgendwann wird Marino erfahren wollen, was seinem Sohn zugestoßen ist.«

85
    Dr. Lanier klingt, als sei er auf dem Weg der Besserung, aber er wirkt angespannt wie eine gestraffte Bogensehne.
    »Können Sie mich irgendwo sicher unterbringen?«, fragt Scarpetta, die am Telefon in ihrem Einzelzimmer im Melrose Hotel, Ecke 63. Straße und Lexington Avenue, sitzt.
    Sie hat beschlossen, nicht bei Lucy zu übernachten, und dem hartnäckigen Drängen ihrer Nichte widerstanden. Denn wenn sie bei Lucy schläft, hat sie nicht die Möglichkeit, sich am nächsten Morgen unbemerkt in Richtung Flughafen aus dem Staub zu machen.
    »In der besten Unterkunft in Louisiana - meinem Gästehaus. Es ist allerdings nur klein. Warum ich das tue? Sie wissen ja, dass ich mir keine privaten Berater leisten kann ...«
    »Hören Sie«, fällt Scarpetta ihm ins Wort. »Ich muss zuerst nach Houston.« Sie drückt sich absichtlich vage aus. »Ich kann frühestens übermorgen bei Ihnen sein.«
    »Ich hole Sie ab. Sie müssen mir nur sagen, wann.«
    »Am besten wäre es, wenn Sie einen Mietwagen für mich bestellen würden. Im Moment kann ich nicht klar denken. Ich bin zu müde. Aber ich würde lieber selbst fahren und Ihnen nicht zur Last fallen. Ich bräuchte nur eine Wegbeschreibung zu Ihrem Haus.«
    Sie notiert sich alles. Es scheint ganz einfach zu sein.
    »Legen Sie Wert auf ein bestimmtes Auto?«
    »Ein verkehrstüchtiges.«
    »Damit kenne ich mich aus«, erwidert der Leichenbeschauer. »Ich habe schon genug Leute aus Rostlauben geschält. Meine Sekretärin kümmert sich gleich morgen früh darum.«

86
    Trixie lehnt an der Theke, raucht eine Mentholzigarette und sieht bedrückt zu, wie Marino eine große Kühlbox mit Bier, Wurstaufschnitt, Senf und Mayonnaise in Gläsern und weiteren Lebensmitteln vollpackt, die seine riesigen Hände aus dem Kühlschrank hervorkramen.
    »Es ist schon nach Mitternacht«, beschwert sich Trixie und fingert an einer Flasche Corona herum, deren Hals sie mit einem zu großen Limettenstück verstopft hat. »Komm ins Bett. Morgen kannst du ja immer noch losfahren. Das ist doch vernünftiger, als mitten in der Nacht im Halbschlaf und voller Wut hier rauszustürmen.«
    Seit seiner Rückkehr aus Boston ist Marino betrunken. Er hat vor dem Fernseher gesessen und sich geweigert, ans Telefon zu gehen und mit jemandem zu sprechen, nicht einmal mit Lucy oder Scarpetta. Vor etwa einer Stunde hat ihm eine Nachricht aus Lucys Büro auf dem Mobiltelefon einen ziemlichen Schreck eingejagt und ihn so sehr ernüchtert, dass er sich aus dem Fernsehsessel aufgerappelt hat.
    Trixie hält die Flasche gerade und versucht, das Limettenstück mit der Zunge wegzuschieben. Als sie es schafft, schießt ihr das Bier in den Mund und rinnt über ihr Kinn. Noch vor kurzer Zeit hätte Marino das lustig gefunden. Nun kann ihm nichts mehr ein Lächeln entlocken. Er reißt die Tür des Gefrierschranks auf, zieht einen Behälter mit Eiswürfeln heraus und kippt diese in die Kühlbox. Trixie, die in Wirklichkeit Teresa heißt, ist dreißig Jahre alt und vor einem knappen Jahr in Marinos kleines Haus im Arbeiterviertel gleich am Midlothian Turnpike auf der falschen Seite des James River in Richmond eingezogen.
    Er zündet sich eine Zigarette an und betrachtet sie. Ihr Gesicht ist vom Trinken aufgequollen; die Wimperntusche ist wieimmer unter den Augen verschmiert, sodass sie aussieht wie eintätowiert. Ihr platinblondes Haar ist strohig von zu vielen Färbeprozeduren, sodass Marino es nur noch ungern anfasst. Einmal, als er betrunken war, meinte er zu ihr, es fühle sich an wie Werg. Einige ihrer verletzten Gefühle haben dauerhafte Schäden davongetragen, und wenn Marino bemerkt, wie eines von ihnen aus ihren Augen oder ihrem Mund hinken will, verlässt er - entweder in Gedanken oder körperlich - den Raum.
    »Bitte, geh nicht.« Trixie zieht kräftig an der Zigarette und lässt den Rauch aus den Mundwinkeln schießen, fast ohne

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