Die Dämonen ruhen nicht
Kein böser Mensch. Das waren sie alle nicht. Sie sind einfach nur bemitleidenswert, und er ist ein noch viel kläglicheres Geschöpf als sie, weil er nie mehr vom Leben verlangt hat, obwohl es möglich gewesen wäre.
»Ich glaube, ich rufe dich doch nicht an«, sagt Marino zu Trixie. »Es ist mir scheißegal, was aus dem Haus wird. Verkauf es. Vermiete es. Wohn darin.«
»Das meinst du doch nicht ernst, Baby.« Trixie bricht in Tränen aus. »Ich liebe dich!«
»Du kennst mich doch gar nicht«, erwidert Marino von der Tür aus. Er fühlt sich zu müde, um zu gehen, und zu niedergeschlagen, um zu bleiben.
»Natürlich tue ich das, Baby!« Sie drückt die Zigarette im
Spülbecken aus und kramt im Kühlschrank nach einem neuen Bier. »Und du wirst mich vermissen.« Ihr Gesicht verzerrt sich, als sie gleichzeitig lächelt und weint. »Und du wirst schon zurückkommen. Das vorhin habe ich nur so gesagt, weil ich sauer war. Du kommst zurück.« Sie entfernt den Kronkorken von der Flasche. »Soll ich dir verraten, woher ich weiß, dass du zurückkommst?« Kokett zeigt sie mit dem Finger auf ihn. »Kannst du erraten, was Detective Trixie auf gefallen ist? Du hast deine Weihnachtsdekoration nicht dabei. All die Millionen Plastiknikoläuse, Rentiere, Schneemänner, PeperoniLichterketten und den anderen Kram, den du seit Jahren sammelst. Und jetzt willst du losfahren und alles im Keller liegen lassen? Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Sie redet sich selbst ein, dass sie Recht hat. Marino geht ganz bestimmt nicht für immer. Nicht ohne seinen geliebten Weihnachtsschmuck.
»Rocco ist tot«, sagt er.
»Wer?« Trixie starrt ihn verständnislos an.
»Siehst du, genau das habe ich gemeint. Du kennst mich nicht«, erwidert er. »Schon gut. Du kannst nichts dafür.«
Als er sie stehen lässt und hinter sich die Tür schließt, ist er endgültig fertig mit Richmond.
87
Die Vermisste heißt Katherine Bruce.
Inzwischen gilt sie als entführt und als das jüngste Opfer des Serienmörders; man hält sie für tot. Ihr Ehemann, ein früherer Pilot der Air Force, der inzwischen bei Continental beschäftigt ist, war auf Geschäftsreise. Nachdem er zwei Tage lang vergeblich versucht hatte, seine Frau zu erreichen, machte er sich Sorgen und schickte einen Freund zu ihr. Katherine war nicht zu Hause, und auch ihr Auto fehlte. Der Wagen wurde später, abgestellt am Wal-Mart neben der Universität, entdeckt, wo er zunächst nicht aufgefallen war, weil dieser Parkplatz Tag und Nacht benutzt wird. Der Schlüssel steckte im Zündschloss, die Türen waren offen, Handtasche und Geldbörse verschwunden.
Der Morgen an diesem Tag hat sich noch nicht richtig durchgesetzt, so als müssten sich seine Moleküle erst langsam zu einem Himmel vereinen, der allem Anschein nach klar und leuchtend blau werden wird. Nic hat aus den gestrigen Achtzehn-Uhr-Nachrichten von der Entführung erfahren. Sie kann es immer noch nicht fassen. Den Medienberichten zufolge hat der Freund von Katherine Bruce sofort gestern Morgen die Polizei verständigt. Eigentlich hätte die Information auf der Stelle und bundesweit an die Nachrichtenredaktionen gegeben werden müssen. Was hat diese dämliche Sondereinsatzgruppe denn nur die ganze Zeit getrieben? Etwa den Freund, dessen Identität nicht enthüllt worden ist, einem gottverdammten Lügendetektortest unterzogen, um sicherzugehen, dass Katherine wirklich vermisst wird? Haben sie den Garten umgegraben, um zu sehen, ob der Ehemann seine Frau vor der Abreise nicht vielleicht umgebracht und verscharrt hat?
Jedenfalls hat der Mörder so weitere acht Stunden Vorsprung bekommen. Die Bevölkerung hingegen hat acht Stunden verloren. Katherine hat auch acht Stunden verloren. Vielleicht wäre sie da noch am Leben gewesen - wenn man davon ausgeht, dass sie inzwischen tot ist. Jemand hätte sie und den Mörder sehen können. Schließlich ist alles möglich. Besessen von ihrer Mission schreitet Nic den Parkplatz von Wal-Mart ab und sucht nach Einzelheiten, die ihr vielleicht etwas verraten. Doch der gewaltige Tatort schweigt. Katherine Bruces Wagen wurde längst abgeschleppt und steht jetzt auf irgendeinem Autohof. Hier draußen ist nichts zu sehen außer Müll, Kaugummis und Millionen von Zigarettenkippen.
Es ist sieben Uhr sechzehn, als sie ihre beiden bis jetzt einzigen Funde macht, die sie als Kind in Begeisterung versetzt hätten: zwei Vierteldollars, beide mit dem Kopf nach oben. Das bringt viel mehr Glück
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