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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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geweint.«
    »Auch Spione entschuldigen sich. Und sie können ebenfalls weinen.« Eine aggressive Anwältin im Nadelstreifenkostüm und mit hochhackigen Schuhen, in denen ihre Füße für Lucy aussahen wie die der Frauen im alten China, stieg die Röte den Hals hinauf. »Es steht Ihnen nicht frei, seine Entschuldigung so einfach anzunehmen, Agent Farinelli. Schließlich hat er versucht, Sie zu vergewaltigen.« Sie betonte diesen Punkt in der Annahme, dass Lucy sich gedemütigt und in die Opferrolle gedrängt fühlen würde. Immerhin hatte die Anwältin ihre männlichen Kollegen gerade dazu aufgefordert, sich Lucy nackt und als Sexualobjekt auf dem schmutzigen Betonboden des Reifenhauses vorzustellen.
    »Ich wusste gar nicht, dass Rudy der Spionage beschuldigt wird«, entgegnete Lucy.
    Danach reichte sie ihren Abschied beim FBI ein und wurde Mitarbeiterin des Büros für Alkohol, Tabak, Feuerwaffen und Sprengstoff, ATF. Das FBI hält diese Behörde fälschlicherweise für ein Sammelbecken von Hinterwäldlern, die - ausgerüstet mit Werkzeuggürteln und Schrotflinten - Schwarzbrenner hopsnehmen.
    Lucy wurde Brandexpertin in Philadelphia, wo sie half, den Mord an Benton Wesley vorzutäuschen. Dazu gehörte auch, die Leiche eines Menschen zu beschaffen, der seinen Körper einer medizinischen Fakultät zum Sezieren gespendet hatte. Der Tote war schon älter und hatte dichtes, silbergraues Haar. Nachdem er in einem angesteckten Gebäude verbrannt worden war, war eine Identifikation durch Augenschein höchst unzuverlässig, wenn nicht gar unmöglich. Die entsetzte Scarpetta bekam am schmutzigen und von Wasser durchweichten Brandort nur einen verkohlten Toten, einen gesichtslosen Schädel mit silbrigem Haar und eine Armbanduhr aus Titan zu sehen, die Benton Wesley gehört hatte. Der Chefpathologe in Philadelphia erhielt Geheimbefehl aus Washington, sämtliche Berichte zu fälschen. Auf dem Papier war Benton tot, ein weiterer Mord in der Verbrechensstatistik des FBI für das Jahr 1997.
    Nach seinem Verschwinden im schwarzen Loch des Zeugenschutzprogramms versetzte das ATF Lucy sofort in die Niederlassung Miami, wo sie sich freiwillig zu gefährlichen verdeckten Ermittlungen meldete und sich trotz der Vorbehalte ihres Vorgesetzten Special Agent die Teilnahme an derartigen Einsätzen erkämpfte. Lucy war arrogant und launisch, was niemand aus ihrem Umfeld - bis auf Pete Marino - verstehen konnte. Scarpetta kannte die Wahrheit nicht. Ja, sie hatte nicht einmal den leisesten Verdacht, sondern nahm an, Lucy mache einfach eine schlechte Phase durch, weil sie Bentons Tod noch nicht verkraftet hatte. In Wirklichkeit jedoch kam Lucy nicht damit zurecht, dass er noch lebte. Außerdem erschoss sie noch im selben Jahr, in dem sie ihren Posten in Miami angetreten hatte, während einer schief gelaufenen Razzia zwei Drogendealer.
    Obwohl die Bilder der Überwachungskamera deutlich zeigten, dass sie damit ihr Leben und das ihrer Partnerin gerettet hatte, zerriss man sich die Mäuler. Es kam zu hässlichen Gerüchten, Falschbehauptungen und zu einer internen Untersuchung nach der anderen. Lucy verließ das ATF und kehrte den Bundesbehörden ein für alle Mal den Rücken. Sie verkaufte ihre Aktien am Neuen Markt noch vor der Wirtschaftsflaute und dem Börsensturz nach dem 11. September 2001. Einen Teil ihres Vermögens sowie ihre Berufserfahrung bei den Strafverfolgungsbehörden und ihre Talente steckte sie in die Gründung einer privaten Detektei namens Das Letzte Revier. Ein Unternehmen, an das man sich wendet, wenn einem sonst nichts mehr übrig bleibt, und das weder Werbung betreibt noch im Telefonbuch steht.

21
    Benton erhebt sich von seinem Stuhl und steckt die Hände in die Hosentaschen.
    »Menschen aus der Vergangenheit«, sagt er. »Wir führen viele Leben, Pete, und die Vergangenheit ist der Tod. Etwas, das vorbei ist und nicht zurückkommen kann. Wir gehen weiter und erschaffen uns neu.«
    »So ein Schwachsinn. Du warst in letzter Zeit zu viel allein«, widerspricht Marino verärgert, während sich eine eiskalte Hand um sein Herz legt. »Du kotzt mich an. Ich bin ver- dammt froh, dass Kay das nicht miterleben muss. Oder vielleicht wäre das sogar besser, damit sie sich endlich von dir befreien kann, denn du hast sie ja offensichtlich auch vergessen. Verdammt, kannst du in deiner Bude nicht mal die Klimaanlage hochdrehen?«
    Marino marschiert zur im Fenster eingelassenen Klimaanlage und stellt sie höher.
    »Weißt du, was sie

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