Die Dämonen ruhen nicht
Gereiztheit wächst. Benton ist ein Fremder geworden. Marino kennt diesen Mann nicht mehr. »Wolfie-Boy? Ach herrje, ich dachte, wir sprechen von einer Drogentoten im Cajun-Land!«, beschwert er sich.
»Kümmer dich darum, dass sie die Finger davon lässt.«
»Du hast kein Recht, etwas von mir zu verlangen, insbesondere dann nicht, wenn es um sie geht.«
»Er ist auf sie fixiert.«
»Was hat das denn mit Louisiana zu tun?« Marino kommt näher und mustert Bentons Gesicht, als versuche er, etwas zu entziffern, das er aus der Entfernung nicht richtig lesen kann.
»Der Machtkampf, den er damals gegen sie verloren hat, ist noch nicht zu Ende. Er hat vor, ihn jetzt zu gewinnen, und wenn es ihn das Leben kostet.«
»Ich denke nicht, dass er noch irgendwas gewinnen wird. Schließlich wird man ihm bald genug Gift in die Adern pumpen, um ein Herde Pferde umzubringen.«
»Ich spreche nicht von Jean-Baptiste. Hast du den anderen Chandonne vergessen? Seinen Bruder? Dieser Leichenbeschauer sollte das Letzte Revier um Hilfe bitten, nicht sie.«
Marino hört nicht zu. Er fühlt sich wie auf der Rückbank eines fahrenden Autos, an dessen Steuer niemand sitzt. »Doc Scarpetta weiß, was Wolfmann von ihr will.« Er lässt sich nicht von seinem Thema abbringen - dem Thema, das ihn interessiert und das für ihn Sinn ergibt. »Sie hätte nichts dagegen, ihm die Nadel zu verpassen. Und ich schaue hinter der getönten Scheibe zu und grinse mir eins.«
»Hast du sie gefragt, ob sie es tun würde?« Benton sieht zu, wie ein weiterer Frühlingstag langsam erstirbt. Zartes, leuchtendes Grün ist in goldenes Sonnenlicht getaucht, und die Schatten am Boden werden länger.
»Das brauche ich nicht zu fragen.«
»Ich verstehe. Also hast du noch gar nicht mit ihr darüber gesprochen. Das wundert mich nicht. Es würde auch nicht zu ihr passen, dass sie so etwas mit dir erörtert.«
Die Beleidigung ist zwar unterschwellig, schmerzt Marino aber wie ein Nesselstich. Kay Scarpetta lässt ihn nie wirklich an sich heran. Das hat sie eigentlich noch bei niemandem getan - mit Ausnahme von Benton. Sie hat Marino nicht gesagt, was sie davon hält, sich als Henkerin zu betätigen. Ihre Gefühle bespricht sie nicht mit ihm.»Ich verlasse mich darauf, dass du auf sie aufpasst«, meint Benton.
Die Luft scheint sich aufzuheizen; die beiden Männer schwitzen und schweigen.
»Ich weiß, wie du dich fühlst, Pete«, fügt Benton leise hinzu. »Das habe ich immer gewusst.«
»Gar nichts weißt du.«
»Kümmere dich um sie.«
»Ich bin hier, damit du anfangen kannst, das selbst in die Hand zu nehmen«, gibt Marino zurück.
22
Obwohl sich die meisten Leute in Charthage Bluff mit Lebensmitteln und Sprit eindecken, legt Bev Kiffin nie dort an.
Ohne das Tempo zu drosseln, fährt sie vorbei und nähert sich Tin Lizzy’s Landing, einem Restaurant, dessen Aufbau aus abgerissenen Hütten und anderem Zeug, das Bev als Schrott und Mist bezeichnet, eine Million Dollar gekostet hat. Reiche Leute vom Festland können Lizzy’s über die Springfield Bridge erreichen, dort Steaks nach Cajun-Art und Meeresfrüchte essen und sich nach Herzenslust betrinken, ohne nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Boot nach Hause fahren zu müssen. Vor sechs Monaten, an ihrem Geburtstag, hat Bev Jay gebeten, mit ihr dort hinzugehen. Aber er hat nur gelacht. Dann hat er sie mit vor Wut verzerrtem Gesicht als dumm und hässlich beschimpft und gesagt, sie hätte wohl eine Schraube locker, zu glauben, dass er mit ihr ein Restaurant besuchen würde, ganz zu schweigen von einem der gehobenen Klasse mit Anbindung an den Highway.
Eifersucht brodelt in Bev, als sie beschleunigt und in westlicher Richtung zu Jacks Bootshafen fährt. Sie stellt sich vor, wie Jay andere Frauen anfasst.
Bev erinnert sich, wie ihr Vater andere kleine Mädchen auf den Schoß genommen hat. Er verlangte von ihr, dass sie Spielkameradinnen mit nach Hause brachte, damit er sie streicheln konnte, während Bev zuschauen musste. Er war ein attraktiver, erfolgreicher Geschäftsmann, für den in Bevs Teenagerzeit sämtliche Freundinnen schwärmten. Wenn er sie dann berührte, dann immer so, dass es nicht offensichtlich wurde, weshalb eine Anzeige keinen Zweck gehabt hätte. Sein harter Penis streifte nur - scheinbar unschuldig - ihren Po, wenn sie auf seinem Schoß saßen. Er entblößte sich nie, benutzte niemals anstößige Wörter und fluchte nicht einmal. Und das Schlimmste war, dass es ihren Freundinnen gefiel,
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