Die Dämonen ruhen nicht
würdest dich wenigstens dafür bedanken, weil ich mir die Mühe gemacht habe, meinen Arsch hierher zu bewegen, um dir zu sagen, dass Lucy und ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, dich zurückzuholen ...«
»Indem ihr sie benutzt?« Benton dreht sich um und sieht ihn an. »Indem ihr Kay als Lockvogel nehmt?«
Endlich spricht er ihren Namen aus. Aber er ist so ruhig, als empfände er nichts dabei, und Marino ist erschrocken. Er reibt sich erneut die Augen.
» Lockvogel? Was ... ? «
»Reicht es denn nicht, was der Dreckskerl ihr angetan hat?«, fährt Benton fort. »Er hat schon einmal versucht, sie zu töten.« Er spricht nicht von Jean-Baptiste, sondern von Jay Talley.
»Er kann sie nicht töten, solange er hinter kugelsicherem Glas sitzt und in einem Hochsicherheitsgefängnis am Telefon mit ihr plaudert«, gibt Marino zurück; sie reden weiter von zwei verschiedenen Leuten.
»Du hörst mir nicht zu«, sagt Benton zu ihm.
»Das liegt daran, dass du mir nicht zuhörst«, erwidert Marino kindisch.
Benton schaltet die Klimaanlage ab und schiebt das Fenster hoch. Als die Brise mit kühlen Fingern seine heißen Wangen berührt, schließt er die Augen. Er riecht die zum Leben erwachende Erde. Kurz denkt er daran, wie lebendig er mit ihr zusammen war, und er beginnt innerlich zu bluten, als hätte er die Bluterkrankheit.
»Weiß sie es?«, fragt er.
Marino fährt sich mit der Hand über das Gesicht. »Mein Gott, ich habe es so satt, dass mein Blutdruck in die Höhe schießt, als wäre ich ein bescheuertes Thermometer.«
»Red schon.« Benton drückt die Handflächen gegen den Fensterrahmen und beugt sich in die frische Luft hinaus. Dann dreht er sich um und blickt Marino in die Augen. »Weiß sie es?«
Marino versteht und seufzt auf. »Nein, verdammt, nein. Sie hat keine Ahnung. Und sie wird es nie erfahren, wenn du es ihr nicht selbst erzählst. Ich würde ihr das nicht antun. Und Lucy auch nicht. Kapierst du überhaupt« - ärgerlich steht er auf »dass es Leute gibt, denen sie zu viel bedeutet, um ihr so wehzutun? Stell dir nur vor, wie sie sich fühlen würde, wenn ihr klar wäre, dass du noch lebst und dich einen Scheiß für sie interessierst.«Zitternd vor Trauer und Wut geht er zur Tür. »Ich dachte, du würdest mir dankbar sein.«
»Ich bin dir dankbar, weil ich weiß, dass du es gut meinst.« Benton folgt ihm. Seine Ruhe wirkt unheimlich. »Und ich weiß auch, dass du es nicht verstehst, aber irgendwann wirst du es nachvollziehen können. Lebe wohl, Pete. Ich will dich nie wieder sehen oder von dir hören. Bitte, nimm es nicht persönlich.«
Marino packt den Türknauf so heftig, dass er ihn fast aus dem Holz reißt. »Schön, dich endgültig los zu sein. Fick dich ins Knie. Aber nimm es bitte nicht persönlich.«
Sie stehen einander gegenüber, als wollten sie sich zum Duell herausfordern. Aber keiner macht den ersten Schritt oder wünscht sich wirklich, dass der andere aus seinem Leben verschwindet. Bentons haselnussbraune Augen sind ausdruckslos, so als hätte sich der Mensch, der sich dahinter befindet, in Luft aufgelöst. Marinos Puls hämmert panisch, da ihm klar wird, dass der Benton, den er kannte, fort ist und dass nichts ihn zurückholen kann.
Außerdem wird Marino Lucy alles erklären müssen. Er ist offenbar gezwungen, sich damit abzufinden, dass der Traum, Benton zu retten und ihn Scarpetta wiederzugeben, für immer ein Traum bleiben wird. Ein Luftschloss.
»Ich kapiere es nicht!«, brüllt Marino.
Benton legt den Zeigefinger an die Lippen. »Bitte, geh jetzt, Pete«, sagt er leise. »Du brauchst es nicht zu kapieren.«
Auf dem schlecht beleuchteten muffigen Treppenabsatz, dicht vor der Tür von Wohnung 4 6, bleibt Marino stehen. »Okay.« Er tastet nach seinen Zigaretten und lässt einige auf den schmutzigen Betonboden fallen. »Okay ...« Er will noch »Benton« hinzufügen, bremst sich aber und geht in die Hocke, um die Zigaretten aufzusammeln; in seiner Ungeschicklichkeit zerbricht er zwei.
Dann wischt er sich mit dem Rücken seiner großen Hand die Augen ab, während Benton aus der Wohnungstür auf ihn herunterschaut und ihn beobachtet, ohne ihm anzubieten, ihm beim Aufheben zu helfen; er schafft es nicht, sich von der Stelle zu rühren.
»Pass auf dich auf, Pete«, sagt Benton, der Meister der Tarnung und Selbstbeherrschung, in ruhigem, vernünftigem Ton.
Marino blickt mit blutunterlaufenen Augen aus seiner Kauerstellung auf dem Treppenabsatz hoch. Die Naht im
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