Die Dämonen ruhen nicht
Schritt seiner zerknitterten Khakihose ist ein Stück aufgerissen, sodass die weiße Unterhose hervorlugt.
»Begreifst du denn nicht, dass du zurückkommen kannst?«, platzt er heraus.
»Dir ist anscheinend nicht klar, dass es nichts mehr gibt, zu dem ich zurückkommen kann«, erwidert Benton so leise, dass es fast nicht zu verstehen ist. »Ich will nicht zurück kommen. Und jetzt verschwinde aus meinem Leben, zum Teufel, und lass mich in Ruhe.«
Er knallt die Wohnungstür zu und legt den Riegel vor. Drinnen sackt er auf dem Sofa zusammen und schlägt die Hände vors Gesicht, während Marinos beharrliches Klopfen sich in ein heftiges Gepolter und Tritte gegen die Tür verwandelt.
»Ja, schon gut, viel Spaß mit deinem tollen Leben, Arschloch!«, dringt seine Stimme gedämpft herein. »Ich wusste schon immer, dass du eiskalt bist und dich einen Scheißdreck für andere Menschen interessierst, auch nicht für sie, du verdammter Psychokrüppel!«
Poltern und Treten verstummen abrupt.
Benton hält den Atem an und spitzt die Ohren. Die plötzliche Stille ist schlimmer, als es ein Wutanfall je sein könnte. Pete Marinos Schweigen ist eine Verurteilung und endgültig. Die schweren Schritte seines Freundes stapfen die Treppe hinunter.
»Ich bin tot«, murmelt Benton in seine Hände und krümmt sich auf dem Sofa zusammen. »Ganz gleich, was passiert, ich bin tot. Ich bin Tom. Tom Haviland. Tom Speck Haviland ...« Seine Brust hebt und senkt sich, und sein Herz scheint aus dem Takt geraten zu sein. »Geboren in Greenwich, Connecticut ...«
Er steht auf, ergriffen von einer Niedergeschlagenheit, die das Zimmer dunkel werden lässt und die Luft so dickflüssig macht wie Öl. Der Geruch von Marinos Zigaretten hängt noch im Raum, steigt ihm in die Nase und durchfährt ihn wie die Klinge eines Schwerts. Er geht ans Fenster, stellt sich seitlich daneben, damit er von unten nicht zu sehen ist, und beobachtet, wie Pete Marino langsam durch das Spiel von Schatten und getüpfelten Sonnenstrahlen über das holperige Kopfsteinpflaster davongeht.
Marino bleibt stehen, um sich eine Lucky Strike anzuzünden, dreht sich um und starrt auf das schäbige Gebäude, in dem Benton wohnt, bis er die Wohnung 46 gefunden hat. Billige, durchsichtige Vorhänge blähen sich im Wind und wehen aus dem offenen Fenster wie entschwebende Seelen.
24
In Polen ist es kurz nach Mitternacht.
Lucy fährt an Kolonnen russischer Armeelaster aus dem Zweiten Weltkrieg vorbei und saust durch kilometerlange gekachelte Tunnels und die von Bäumen gesäumte E28 entlang. Ständig muss sie an die rote Meldung denken und daran, wie leicht es für sie war, mit einer Computerdatei die Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt in Alarmbereitschaft zu versetzen. Natürlich entspricht die Information der Wahrheit. Rocco Caggiano ist ein Verbrecher. Das weiß Lucy schon jahrelang. Aber erst seit kurzem, seit sie Beweise für die Beteiligung an zumindest einigen seiner Straftaten hat, haben sie und andere betroffene Parteien etwas gegen ihn in der Hand und können mehr tun, als ihn nur zu hassen.
Ein einziges Telefonat.
Lucy hat die Zentrale der Interpol in Washington angerufen, ihren Namen genannt - ihren richtigen natürlich - und ein kurzes Gespräch mit einem Verbindungsoffizier der U.S. Marshals namens McCord geführt. Der nächste Schritt bestand darin, die Datenbank von Interpol daraufhin zu untersuchen, ob Caggiano dort bekannt ist. Er war es nicht, nicht einmal als grüne Meldung, die nur bedeutet, dass eine Person die Aufmerksamkeit von Interpol geweckt hat und unter Beobachtung gestellt sowie beim Grenzübertritt und bei der Benutzung internationaler Flughäfen besonders gründlich überprüft und abgetastet wird.
Rocco Caggiano ist Mitte dreißig. Er ist noch nie verhaftet worden und hat - allem Anschein nach als schmieriger Rechtsverdreher, der aus dem Unglück anderer Kapital schlägt - ein Vermögen verdient. Allerdings verdankt er den beträchtlichen Wohlstand und die Macht seinen tatsächlichen Mandanten, den Chandonnes, auch wenn die Bezeichnung »Mandanten« in diesem Zusammenhang irreführend ist. Er ist ihr Leibeigener, genießt ihren Schutz, wird von ihnen luxuriös ausgehalten und hängt von ihrer Gnade ab, wenn er am Leben bleiben will.
»Überprüfen Sie einen Mord aus dem Jahr 1997«, hat Lucy McCord mitgeteilt. »Am Neujahrstag in Sizilien. Ein Journalist namens Carlos Guarino. Er wurde in den Kopf geschossen, seine Leiche fand man in
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