Die Dämonen
... Das war in den zwanziger Jahren bei der Garde so Sitte. Verkehrt er hier bei jemandem?«
Der General schwieg, wie wenn er eine Antwort erwartete. Für die Ungeduld der Gesellschaft waren nun die Schleusen geöffnet.
»Was kann einfacher sein?« sagte auf einmal Julija Michailowna mit erhobener Stimme; sie war gereizt darüber, daß alle plötzlich wie auf Kommando die Blicke zu ihr hingewandt hatten. »Es ist doch nicht weiter zu verwundern, daß Stawrogin sich mit Gaganow geschlagen, dem Studenten aber sich nicht gestellt hat. Er konnte doch seinen früheren Leibeigenen nicht zum Duell fordern!«
Das waren bedeutsame Worte! Ein einfacher, klarer Gedanke, der aber niemandem bis dahin in den Sinn gekommen war. Diese Worte taten außerordentliche Wirkung. Aller skandalöse Klatsch, alles Kleinliche und Anekdotenhafte trat mit einem Schlage in den Hintergrund. Die Sache gewann auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Es erschien auf dem Plan eine neue Persönlichkeit, in der sich alle bisher geirrt hatten, ein Mann von fast idealer Strenge der Denkweise. Tödlich beleidigt von einem Studenten, also von einem gebildeten, nicht mehr leibeigenen Menschen, verachtet er die Beleidigung, weil der Beleidiger sein früherer Leibeigener ist. In der Gesellschaft ruft dieses Verhalten Aufsehen und häßliches Gerede hervor; die unbesonnen urteilende Gesellschaft blickt geringschätzig auf einen Menschen, der sich hat ins Gesicht schlagen lassen; er verachtet die Meinung der Gesellschaft, die sich nicht zu einer richtigen Anschauungsweise erheben kann und doch über solche Dinge urteilt.
»Und da sitzen nun wir beide da, Iwan Alexandrowitsch, und reden über die richtige Anschauungsweise,« bemerkte ein altes Klubmitglied mit edler Erregung über die eigenen Mängel zu einem andern.
»Jawohl, Peter Michailowitsch, jawohl!« stimmte ihm der andere mit einer Art von Genuß bei. »Und da redet man noch von der Jugend!«
»Hier ist nicht von der Jugend im allgemeinen die Rede, Iwan Alexandrowitsch,« mischte sich ein dritter ein. »Hier handelt es sich nicht um die Jugend im allgemeinen, sondern um ein Meteor, nicht um einen beliebigen jungen Menschen; so muß man die Sache auffassen.«
»Das ist es gerade, was wir brauchen; wir haben Mangel an wirklichen Männern.«
Die Hauptsache war dabei, daß der »neue Mann« nicht nur ein »unzweifelhafter Edelmann«, sondern überdies auch einer der reichsten Grundbesitzer des Gouvernements war und folglich als eine kräftige Stütze der Gesellschaft angesehen werden mußte. Übrigens habe ich auch schon früher die Stimmung unserer Gutsbesitzer beiläufig erwähnt.
Man ereiferte sich sogar:
»Nicht genug daran, daß er den Studenten nicht gefordert hat, er hat sogar die Hände auf den Rücken gelegt; beachten Sie das noch ganz besonders, Exzellenz!« betonte ein anderer.
»Auch hat er ihn nicht vor ein neumodisches Gericht gezogen,« fügte wieder ein anderer hinzu.
»Obgleich der Student von einem neumodischen Gerichte wegen tätlicher Beleidigung eines Edelmannes zu fünfzehn Rubeln verurteilt worden wäre, he-he-he!«
»Nein, ich will Ihnen ein geheimes Mittel angeben, das bei den neumodischen Gerichten von Nutzen ist,« sagte einer ganz wütend. »Wenn jemand gestohlen oder betrogen hat und abgefaßt und klar überführt ist, dann muß er so schnell wie möglich, solange es noch Zeit ist, nach Hause laufen und seine Mutter totschlagen. Sofort wird er von allem freigesprochen, und die Damen auf den Tribünen winken mit ihren batistenen Taschentüchern. Das ist die volle Wahrheit!«
»Ja, das ist die Wahrheit! Das ist die Wahrheit!«
Interessante Geschichtchen durften natürlich nicht fehlen. Man erinnerte sich an Nikolai Wsewolodowitschs Beziehungen zum Grafen K***. Die scharfen, isoliert dastehenden Ansichten des Grafen K*** über die letzten Reformen waren bekannt. Bekannt war auch seine merkwürdige Tätigkeit, die in der letzten Zeit allerdings etwas nachgelassen hatte. Und nun wurde es allen auf einmal unzweifelhaft, daß Nikolai Wsewolodowitsch mit einer der Töchter des Grafen K*** verlobt sei, obgleich nichts einen bestimmten Anlaß zu einem solchen Gerüchte gab. Was aber die wunderbaren Abenteuer mit Lisaweta Nikolajewna in der Schweiz anlangte, so redeten die Damen davon überhaupt nicht mehr. Wir erwähnen bei dieser Gelegenheit, daß Drosdows gerade in dieser Zeit alle bisher von ihnen unterlassenen Besuche nachgeholt hatten. Über Lisaweta Nikolajewna hatten
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