Die Dämonen
noch nie etwas von Stepan Trofimowitschs Tätigkeit und Gelehrsamkeit gehört.
»Ich empfange natürlich den jungen Werchowenski und bin freundlich gegen ihn. Er ist unbesonnen; aber er ist ja auch noch jung; übrigens besitzt er solide Kenntnisse. Aber jedenfalls ist er nicht so ein verabschiedeter ehemaliger Kritiker.«
Warwara Petrowna beeilte sich sogleich zu bemerken, daß Stepan Trofimowitsch überhaupt niemals Kritiker gewesen sei, sondern vielmehr sein ganzes Leben in ihrem Hause zugebracht habe. Berühmt sei er durch die »in der ganzen Welt bekannten« Umstände zu Beginn seiner Laufbahn und in der letzten Zeit durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der spanischen Geschichte; auch wolle er über den jetzigen Zustand der deutschen Universitäten schreiben und, wie es scheine, auch etwas über die Dresdner Madonna. Kurz, Warwara Petrowna wollte im Gespräch mit Julija Michailowna auf Stepan Trofimowitsch nichts kommen lassen.
Ȇber die Dresdner Madonna? Sie meinen die Sixtinische?
Chère
Warwara Petrowna, ich habe zwei Stunden lang vor diesem Gemälde gesessen und bin enttäuscht weggegangen. Ich verstand seine Berühmtheit nicht und war höchst verwundert. Karmasinow sagt auch, es sei schwer zu begreifen. Jetzt finden alle nichts daran, sowohl die Russen als auch die Engländer. Diesen ganzen Ruhm haben dem Bilde nur die alten Leute durch ihr Geschrei verschafft.«
»Da ist also jetzt eine neue Mode aufgekommen?«
»Ich bin der Ansicht, daß man die jungen Leute der Jetztzeit nicht verachten darf. Da schreit man nun, sie seien Kommunisten; aber meiner Meinung nach muß man sie rücksichtsvoll behandeln und ihren Wert anerkennen. Ich lese jetzt alles: alle möglichen Zeitungen, Sozialistisches, Naturwissenschaftliches; ich verschaffe mir das alles; denn man muß doch schließlich wissen, wo man lebt, und mit wem man zu tun hat. Man kann doch nicht sein ganzes Leben auf den Berghöhen der Phantasie wohnen. Ich habe mir die Sache reiflich überlegt und es mir zum Grundsatz gemacht, gegen die jungen Leute freundlich zu sein und sie gerade dadurch am Rande des Abgrundes festzuhalten. Glauben Sie, Warwara Petrowna, daß nur wir, die Gesellschaft, durch unsern wohltätigen Einfluß und namentlich durch Freundlichkeit sie an dem Abgrunde festhalten können, in den sie die Unduldsamkeit all dieser alten Leute hineinstößt. Übrigens freue ich mich, von Ihnen etwas über Stepan Trofimowitsch gelernt zu haben. Da geben Sie mir einen Gedanken ein: er kann bei unserer literarischen Vorlesung nützlich sein. Wissen Sie, ich arrangiere ein Vergnügen, das einen ganzen Tag dauern soll, auf Subskription, zum Besten armer Gouvernanten aus unserem Gouvernement. Sie sind über ganz Rußland zerstreut; man zählt ihrer allein schon sechs aus unserem Kreise; dazu kommen noch zwei Telegraphistinnen; ferner studieren zwei junge Mädchen auf der Universität, und andere würden wünschen, es ebenfalls zu tun, haben aber nicht die Mittel dazu. Das Los der Frau in Rußland ist schrecklich, Warwara Petrowna! Diese Frage wird jetzt auf den Universitäten viel behandelt, und es hat sogar schon eine Sitzung des Reichsrates darüber stattgefunden. In unserem sonderbaren Rußland kann man alles tun, was einem beliebt. Und daher könnten wir, wieder nur durch Freundlichkeit und unmittelbare warme Teilnahme der ganzen Gesellschaft, diese große, gemeinsame Angelegenheit auf den richtigen Weg bringen. O Gott, haben wir denn etwa viele illustre Persönlichkeiten? Allerdings gibt es solche; aber sie sind zerstreut. Schließen wir uns zusammen, und wir werden stärker sein. Kurz, es wird bei mir zunächst eine literarische Matinee stattfinden, dann ein leichtes Frühstück, dann eine Pause, und an demselben Tage abends ein Ball. Wir wollten den Abend eigentlich mit lebenden Bildern beginnen; aber es scheint, daß das zuviel Ausgaben verursachen würde, und daher sollen für das Publikum nur eine oder zwei Quadrillen in Masken und Charakterkostümen getanzt werden; die Kostüme sollen bestimmte literarische Richtungen darstellen. Diese scherzhafte Idee hat Karmasinow in Vorschlag gebracht; er ist mir sehr behilflich. Wissen Sie, er wird bei uns sein letztes Werk vorlesen, das noch niemand kennt. Er legt die Feder nieder und wird nicht mehr schreiben; dieser letzte Artikel ist sein Abschied vom Publikum. Es ist ein reizendes Sächelchen mit dem Titel:
›Merci‹.
Ein französischer Titel; aber er findet das scherzhafter und sogar feiner. Ich
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