Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
Vom Netzwerk:
der Heimat desselben sein Nachbar sein mochte, in eigenen Geschäften nach der Stadt gekommen war und in einem anderen Zimmer logierte. Aus seinen Mitteilungen war zu entnehmen, daß der junge Mensch von seiner Familie, das heißt von seiner verwitweten Mutter, seinen Schwestern und Tanten, aus ihrem Dorfe nach der Stadt geschickt war, um unter der Leitung einer in der Stadt lebenden Verwandten verschiedene Einkäufe für die Aussteuer der ältesten Schwester zu machen, die sich demnächst verheiraten wollte, und die Sachen nach Hause zu bringen. Sie hatten ihm vierhundert Rubel anvertraut, die sie sich in Jahrzehnten zusammengespart hatten, bei seiner Abreise vor Angst gestöhnt, ihm endlose Ermahnungen mit auf den Weg gegeben, viel für ihn gebetet und unzählige Male das Zeichen des Kreuzes über ihn gemacht. Der junge Mensch war bisher wohlgesittet gewesen und hatte die besten Hoffnungen erweckt. Als er vor drei Tagen in die Stadt gekommen war, hatte er sich bei seiner Verwandten nicht blicken lassen, sondern war in dem Gasthause abgestiegen und geradeswegs in einen Klub gegangen, in der Hoffnung, in einem Hinterzimmer einen von auswärts zugereisten Bankhalter oder wenigstens ein Pochspiel zu finden. Aber Poch wurde an diesem Abend nicht gespielt; es war auch kein Bankhalter da. Erst gegen Mitternacht war er in sein Zimmer zurückgekehrt, hatte sich Champagner und Havannazigarren geben lassen und sich ein Abendessen von sechs oder sieben Gängen bestellt. Aber von dem Champagner war er betrunken geworden, und die Zigarren hatten ihm Übelkeit erregt, so daß er die aufgetragenen Speisen nicht angerührt, sondern sich beinah bewußtlos schlafen gelegt hatte. Als er am andern Tage aufgewacht war, hatte er sich frisch und munter gefühlt und sich sogleich zu einer jenseits des Flusses in der Vorstadt lagernden Zigeunerhorde begeben, von der er tags zuvor im Klub gehört hatte, und hatte sich im Gasthause zwei Tage lang nicht sehen lassen. Gestern war er endlich um fünf Uhr nachmittags erschienen, hatte sich sogleich hingelegt und bis zehn Uhr abends geschlafen. Als er aufgewacht war, hatte er sich ein Kotelett, eine Flasche Château Yquem und Weintrauben, sowie Papier, Feder und Tinte geben lassen. Niemand hatte an ihm etwas Besonderes bemerkt; er war ruhig, still und freundlich gewesen. Wahrscheinlich hatte er sich schon um Mitternacht erschossen, obwohl sonderbarerweise niemand den Schuß gehört hatte; man war erst heute mittag darauf aufmerksam geworden, daß von dem jungen Manne nichts zu sehen und zu hören war, und hatte nach vergeblichem Klopfen die Tür aufgebrochen. Die Flasche Château Yquem war zur Hälfte geleert, der Teller mit Weintrauben war ebenfalls noch halb voll. Der Schuß war aus einem kleinen dreiläufigen Revolver abgefeuert worden und gerade ins Herz gegangen. Blut war nur sehr wenig herausgeflossen; der Revolver war ihm aus der Hand auf den Teppich gefallen. Der junge Mann saß halbliegend in der Sofaecke. Der Tod mußte augenblicklich eingetreten sein; auf dem Gesichte war nichts von Todeskampf zu bemerken; der Ausdruck desselben war ruhig, beinah glücklich, wie wenn er lebte. Die Unsrigen betrachteten den Toten alle mit lebhafter Neugier. Überhaupt liegt in jedem Unglück des Nächsten immer etwas, was ein fremdes Auge erfreut; das trifft für jeden Menschen zu. Unsere Damen schwiegen während dieser Besichtigung des Selbstmörders; ihre Begleiter aber suchten sich durch scharfsinnige Bemerkungen und besondere Geistesgegenwart hervorzutun. Einer äußerte, dies sei der beste Ausweg gewesen, und etwas Verständigeres habe der junge Mann überhaupt nicht ersinnen können; ein anderer hob hervor, daß er wenigstens eine kurze Zeit einmal gut gelebt habe. Ein dritter warf plötzlich die Frage auf, woher es nur komme, daß das sich Erhängen und sich Erschießen bei uns so häufig werde; gerade als ob die Menschen von ihren Wurzeln abgesägt seien, gerade als ob ihnen allen der Boden unter den Füßen wegglitte! Den, der so philosophierte, sah man unfreundlich an. Dafür mauste Ljamschin, der es sich zur Ehre anrechnete, die Rolle des Narren zu spielen, eine Weintraube vom Teller; nach ihm tat ein zweiter lachend dasselbe, und ein dritter streckte schon die Hand nach dem Château Yquem aus. Aber er mußte innehalten, da in diesem Augenblicke der Polizeimeister eintrat; dieser ersuchte uns sogar, das Zimmer zu verlassen. Da alle bereits genug gesehen hatten, gingen sie widerspruchslos

Weitere Kostenlose Bücher